68 - Der Weg zum Glück 03 - Der Baron
Bleibens nicht sein. Wir haben unsere Schuldigkeit getan.“
„Und was machen nun wir beide?“ fragte der Sepp, als sie vor dem Silberhof standen.
„Für heut lassen wir alles, wie es ist“, antwortete der Lehrer.
„Warum? Wir müssen ja hineinschaun in – na, Sie wissen's ja!“
Er sprach nicht aus, weil der Müller anwesend war.
„Das läuft uns nicht davon.“
„Aber dera Silberbauer –!“
„Auch der ist uns sicher! Ich habe einen außerordentlich notwendigen Weg zu machen. Kommen Sie morgen früh zu mir; da werden wir besprechen, was zu tun ist. Jetzt aber hab ich keine Zeit, ich darf keinen Augenblick verlieren.“
Ohne ein weiteres Wort abzuwarten, eilte er davon, das Dorf hinab und auf der Straße weiter, nach der Stadt zu. Als er so allein durch die Nacht schritt und die Aufregung hinter sich hatte, konnte er sich mit sich selbst beschäftigen. Es kam jetzt so plötzlich und so schwer über ihn, daß er einen großen, großen Fehler begangen habe, einen Fehler, den er schleunigst wieder gutmachen müsse.
„Sie ist brav! Sie liebt mich! Sie hat mit ihrem Vater, mit der Heimat, mit allem gebrochen, weil sie auf mich gehört hat! Ich muß ihr nach! Ich muß mit ihr sprechen! Ich muß ihr sagen, daß – daß – daß – ja, daß ich sie liebe, liebe, liebe! Und wie! So innig, so heiß, so unendlich! Herrgott, gib nur, daß ich sie noch ereile!“ –
Es war ihm himmelangst, daß er sie wohl bereits nicht mehr in der Stadt finden werde.
Der Müller hatte zum Finken-Heiner gesagt, er solle in der Mühle zurückbleiben. Das wollte der Heiner auch. Während der Herr Ludewig mit der Barbara und Lisbeth im Innern der Mühle verschwand, blieb der Alte im Freien stehen. Es war ihm zumute, als ob heut das Jüngste Gericht sei und Gott seinem Feind das verdammende Urteil verkündigt habe. Er dachte an jenen Tag zurück, an welchem er selbst da unten unter dem Rad verunglückt war. Das war schrecklich. Noch schrecklicher aber war jene Nacht gewesen, in welcher er den Silberbauer bei seiner Frau getroffen hatte und dann – ah, jene fürchterliche Szene drüben auf der Waldblöße! Es hatte ihn seit jener Zeit täglich nach der Blöße gezogen, und es zog ihn auch jetzt hinüber, jetzt, wo der Nebenbuhler, der Mörder seines Glücks einen Teil der verdienten Strafe gefunden hatte. Er dachte nicht an Lisbeth, welche auf ihn wartete. Gottes Gerichtstag war heut. Hier an der Mühle war ein Urteil gefällt worden. Drüben auf der Blöße war ein zweites zu fällen. Nicht aus Überzeugung, nicht aus Vorsatz, sondern rein aus Instinkt schritt er langsam durch die Nacht dem Wald entgegen, den Pfad hinein und nach der Blöße zu. Er hatte keineswegs den Gedanken, jemand dort zu finden. Er handelte ganz unwillkürlich, ganz unter dem Einfluß eines innern Antriebs, über welchen er sich selbst keine Rechenschaft ablegte, ja, von dem er vielleicht nicht einmal nur eine Ahnung hatte.
Es war kein Mondschein. Nur die Sterne flimmerten am Himmel; doch ihr Licht reichte nicht hin, die von Bäumen freie Waldstelle zu erleuchten. Man konnte nur wenige Ellen vor sich hin sehen. Er kannte jeden Schrittbreit der Blöße, und sein Fuß traf trotz der Dunkelheit an keinen Baumsturz oder Stein. Er ging langsam und in Gedanken nach der Stelle, an welcher er seit Jahren täglich zu sitzen pflegte. Er erreichte sie. Da erhob sich eine dunkle Gestalt vor ihm vom Boden. Er hatte kein ängstliches Herz; aber er erschrak doch, als so unerwartet ein fremdes, menschliches Wesen wie aus der Erde emporstieg.
„Halt! Wer ist da?“ fragte er.
Er erhielt keine Antwort, denn die Person schien über sein Erscheinen noch weit mehr erschrocken zu sein als er über das ihrige.
„Nun, kannst nicht reden?“ fragte er wieder.
„Ich bin's“, wurde geantwortet.
„Ich? Wer?“
Er trat näher und sah nun, daß die Person weibliche Kleider anhatte.
„Ach so! Eine Frau bist! Was hast da in der Dunkelheit hier im Wald zu tun?“
„Ich geh spazieren.“
„Spazieren? Sapperlotern! Das ist mir auch noch nicht passiert, daß ich eine Frau troffen hab, die bei Nacht im finstern Wald eine Promenaden macht. Hör, das glaub ich dir freilich nicht. Da steckt was ganz anders dahintern. Jetzt sagst gleich aufrichtig, wast hier willst.“
„Nix.“
„So, nix willst! Und da bist hier! Hm, wer bist denn du eigentlich?“
„Ich bin eine Fremde.“
„Und da gehst hier im unbekannten Forst spazieren? Hör, das machst mir nimmer weis!
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