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68 - Der Weg zum Glück 03 - Der Baron

68 - Der Weg zum Glück 03 - Der Baron

Titel: 68 - Der Weg zum Glück 03 - Der Baron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sie selten bei einem Lehrer sucht, und eine poetische Begabung, welche eher mit dem Wort genial als mit dem Ausdruck talentvoll zu bezeichnen war.
    Und wie hatte sie sich zu diesem Sohn verhalten? Was hatte sie für ihn getan? Was hatte er ihr zu verdanken? Das nackte, armselige Leben! Weiter nichts.
    Sie saß in der Laube, das Gesicht in die beiden Hände gelegt, und weinte, weinte bitterlich. Sie fühlte jetzt das, was sie getan hatte, als eine Sünde, für welche es kaum eine Vergebung geben könne. Selbst alle Reue und Buße schien zu gering und klein zu sein gegenüber dem Verbrechen, das eigene Kind von sich gegeben zu haben.
    „Mutter!“ erklang es da vom Eingange der Laube her.
    Sie erhob das tränenschwere Angesicht und blickte ihn trostlos an, ohne ein Wort zu sagen.
    „Mutter! Du weinst!“
    „Muß ich nicht?“ antwortete sie, laut aufschluchzend.
    „Warum sollst du müssen? Etwa vor Freude?“
    „Vor Freude! Ja, ja, das könnte ich! Wie glücklich, wie selig könnte ich sein! Nun aber möchten meine Augen nie wieder trocken werden vor Schmerz über das Leid, welches ich über dich gebracht habe.“
    „Leid? Nie, nie hast du Leid über mich gebracht!“
    „Du willst mir nur keine Vorwürfe machen.“
    „Nein, ich sage die Wahrheit. Ich habe zwar auch trübe Stunden gehabt im Waisenhaus; aber welches Kind und besonders welcher lebhafte Bube hat nicht Stunden, in denen ihm die wohlverdiente Strafe wie eine große Ungerechtigkeit erschien! Nein. Kindesleid habe ich gehabt, nur Kindesleid, und das hat ein jedes Kind, selbst das Kind eines Fürsten, eines Kaisers. Ich hätte es auch bei dir gehabt. Nicht das geringste Leid hast du über mich gebracht. Aber du stehst im Begriffe, ein schweres, sehr schweres über mich zu bringen.“
    „Da sei Gott vor!“ sagte sie ganz erschrocken.
    „Und doch tust du es bereits.“.
    „Sag mir, wie!“
    „Indem du dich in einer ganz unnötigen Reue verzehrst, welche dir und mir das Leben zu verbittern droht. Willst und magst du dich denn nicht darüber freuen, daß wir uns wiedergefunden haben? Es gibt ja gar nicht die mindeste Veranlassung zu Kummer und Klage. Nur wenn du in dieser Selbstpeinigung fortfährst, wirst du mir Anlaß zur Traurigkeit geben.“
    „Mein Sohn, mein guter Sohn! Wie mild und versöhnlich bist du!“
    Er setzte sich neben sie und nahm sie in seinen Arm.
    „Schau, Mutter“, sagte er, „grad daß ich dich früher missen mußte, das erhöht und verdoppelt jetzt mein Glück. Hätte ich stets die Mutter gehabt, so fühlte ich heut nicht die hohe Seligkeit, dich gefunden zu haben.“
    „Aber welche Freuden und Seligkeiten sind dir vorher verlorengegangen!“
    „Dir doch noch mehrere und größere. Du bist zu beklagen, nicht aber ich. Du hast ja auf alles Mutterglück verzichten müssen.“
    „Ja, das ist wahr. Ich will nicht von den gramvollen Vorwürfen sprechen, welche ich mir täglich und stündlich machen mußte; ich hatte sie verdient. Aber wenn ich sah, wie glücklich eine Mutter im Anblick ihres Kindes war, wenn ich ein kindliches Lallen, ein fröhliches, glückliches Lachen hörte, wenn ich sah, wenn eine Mutter dem Töchterchen die Puppe fertigte oder dem Sohn die Nahrung bot, dann überkam mich eine unendliche Bitterkeit, eine Bitterkeit gegen mich selbst und gegen –“
    Sie schwieg. Max fuhr an ihrer Stelle fort:
    „Und gegen den, welcher der alleinige Urheber all dieser Leiden war! Nicht wahr?“
    „Konnte ich anders? Mußte ich ihm nicht zürnen?“ fragte sie.
    „Natürlich! Und mir fällt es gar nicht ein, dir darüber Vorwürfe zu machen. Ich habe die Pflicht, die Kinder im Christentum zu unterweisen. Ich stehe vor ihnen und ermahne sie: ‚Liebet eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen, und bittet für die, welche euch beleidigen und verfolgen, auf daß ihr Kinder eures himmlischen Vaters seid!‘ So lehre und ermahne ich und doch – ich fühle, daß es eine Sünde, eine unnatürliche Regung ist; aber ich – ich – ich hasse meinen Vater, weil er solches Elend über dich gebracht hat, und ich verachte ihn, weil er als Bube handelte.“
    „Was würdest du tun, wenn wir ihn fänden?“
    „Ich würde ihm ganz dasselbe, was ich soeben sagte, in das Gesicht sagen.“
    „Nein, das brächtest du nicht fertig. Dazu bist du zu gut, zu liebreich.“
    Sein Gesicht verfinsterte sich. Es nahm einen strengen, kalten, fast erbarmungslosen Ausdruck an.
    „Nein, gegen ihn würde ich nicht die Spur einer Regung von

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