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69

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Titel: 69 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryu Murakami
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Hände hat wie ich, er sagt, ich soll zu dieser Fernsehshow Um ehrlich zu sein gehen. Fast alle in meiner Klasse wissen davon. Sie nennen mich ›nicht druckreif‹. Darum wusste ich, dass ich heute Nacht Handschuhe tragen muss, aber als ich den Slip angefasst habe, den Masutabe gefunden hat, da habe ich es vergessen, und was soll ich jetzt machen?«
    Wir streckten die Hände aus und befühlten seine Fingerspitzen. Es stimmte, sie waren glatt, wie Narbengewebe.
    »Erstaunlich.«
    Schließlich hörten wir auf zu lachen, und Adama konnte ihn davon überzeugen, dass es nichts gab, weswegen er sich Sorgen machen musste.
    Ich hatte mich stillem Träumen hingegeben und dachte gerade darüber nach, dass auch Kazuko Matsui sich hier umzog, als Fuse, der Lustmolch, eine Brieftasche fand. Er verkündete laut seine Entdeckung, beleuchtete sie mit seiner Taschenlampe und schwenkte sie, damit jeder sie sehen konnte.
    »Du Arschloch!«, schrie ich, und sogar Adama der Coole schnalzte mit der Zunge. Eine Brieftasche bedeutete Ärger. Wer immer sie verloren hatte, würde es bestimmt melden, und schließlich würde dann doch jemand den Umkleideraum durchsuchen. Soweit wir wussten, war es möglich, dass wir einige Spuren hinterlassen hatten: ein Stück Papier, Fußabdrücke, Haare. Ich befahl Fuse, sie wieder da hinzulegen, wo er sie gefunden hatte, aber er starrte mich nur mit einem blöden Gesichtsausdruck an und meinte, er habe vergessen, welches Regal es gewesen sei. Otaki und Narushima sagten, wozu die Umstände, lass sie einfach mitgehen, und der nicht druckreife Nakamura schlug vor, wir sollten die Besitzerin ausfindig machen, damit wir die Brieftasche dann später in ihren Spind legen konnten. Wir beschlossen, einen Blick hineinzuwerfen. Es war eine gewöhnliche Mädchenbrieftasche, aus Plastik, mit einem Bild von Snoopy auf der Vorderseite. Drinnen waren einige Tausend-Yen-Scheine, ein Fünfhundert-Yen-Schein und eine Busfahrkarte. Wir lasen den Namen auf der Fahrkarte und wälzten uns vor Lachen; sie gehörte der Turnlehrerin jenseits des Klimakteriums, die ich vor zwei Wochen in den Pool geschubst hatte. Sie war eine ledige Frau mit einem breiten Hängehintern und vorstehenden Wangenknochen. Unser Spitzname für sie war Fumi-chan. In der Brieftasche befanden sich auch ein paar Münzen, ein Knopf, eine zerknitterte Visitenkarte, eine Kinokarte und ein Foto. Das Foto war eine Schwarz-Weiß-Aufnahme von Fumi-chan als junger Frau, die neben einem Mann stand, der ein Gesicht wie eine Gurke hatte und eine Marineuniform der kaiserlichen Armee trug. Wir alle seufzten. Was konnte schon erbärmlicher sein als eine vertrocknete Kriegerwitwe mit Hängearsch, die Sportlehrerin war und 2 500 Yen in ihrer Brieftasche hatte? »Such dir irgendein Regal und leg sie zurück«, sagte Adama, und alle nickten.

    »Nieder mit dem nationalen Sportfest.«
    Das pinselte ich mit blauer Farbe auf einen Pfeiler am Eingangstor der Schule und klatschte die Farbe so heftig drauf, dass sie in die raue Oberfläche der Steine einzog. Auf den anderen Pfeiler malte Adama »Kämpft den gerechten Kampf«. Ich sagte ihm, er solle nicht so einen schwachsinnigen Mist schreiben, aber Adama, cool wie immer, meinte, das sei nur zur Tarnung und würde es schwieriger machen, ein klares Täterprofil zu erstellen. Wir hatten den Gebrauch von Taschenlampen auf dem Schulgelände verboten. Auf dem vorderen Hof gab es ein sorgfältig gepflegtes Blumenbeet, und darüber erhob sich das V-förmige Hauptgebäude wie ein dunkles Dreieck im Mondlicht. Mir wurde schon schlecht, wenn ich das Gebäude nur anschaute. Auf das Fenster des Lehrerzimmers schrieb ich mit blauer Farbe »Speichellecker der herrschenden Machtstruktur«, bis auf »Speichellecker«, das schrieb ich in Rot. Es war keine Wolke am Himmel, aber für mich fühlte sich die Luft schwül an, und ich begann, in meinem dicken T-Shirt zu schwitzen. »Zu den Waffen, Genossen« tupfte ich auf die Wand der Bücherei. Nakamura kam auf mich zu und meldete im Flüsterton, dass das Dachteam die Schule durch den Notausgang neben der Turnhalle betreten habe. »In Ordnung, lasst uns reingehen«, sagte ich.
    Sobald wir drin waren, hielt ich inne, ich hatte Angst, Spuren zu hinterlassen: Mir war etwas Schweiß auf den Betonboden getropft, und ich wartete, bis er getrocknet war, ehe ich den langen Flur entlangging, an dem die Naturwissenschafts-Klassenzimmer des dritten Jahrgangs lagen. Das Graffiti-Team bestand aus Adama, Nakamura und

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