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Grundschule die neueste Ausgabe von Comics für Jungs gekauft und mich mit einem Eis am Stiel in die Sonne gesetzt hatte, um die nächste Folge von Der Siegestreffer zu lesen.
Ich überlegte gerade, wie vollkommen alles sein könnte, wenn da nicht dieser Priester wäre, als mein Blick auf Adama fiel, der Iwases Brief las. Er wirkte niedergeschlagen.
Lieber Ken-san und Adama,
ich mache nicht mehr bei Iyaya mit. Es tut mir Leid. Es hat Spaß gemacht, und es war aufregend, mit euch beiden das Festival vorzubereiten, aber ich will mein eigenes Ding machen, und das kann ich nicht, solange ich Ken-sans Ding mache. Ich weiß, dass ihr beiden coole Sachen fertig bringt. Mein Ding ist vielleicht nichts Tolles, aber es ist wenigstens meins, und ich will es machen.
Das stand in dem Brief.
Iwase wohnte am Ufer des Sasebo, ein ganzes Stück flussaufwärts zwischen lauter Motels für Liebespaare, die die Abgeschiedenheit suchten. Im vorderen Teil des Hauses war ein Geschäft, in dem Knöpfe und Garn verkauft wurden, dazu noch Schreibwaren und sogar Kosmetika.
Durch die Tür konnte ich sehen, wie eine Frau auf den Regalen Staub wischte. Iwases Mutter wahrscheinlich. Es war ein friedlicher Anblick, ein Laden wie eine Million andere Läden auch.
Als wir um das Haus herumgingen, stellte ich fest, dass ich über die Macht der Kultur nachdachte.
»Hey, Adama, Kultur ist doch eine ehrfurchtgebietende Sache, was meinst du?«
»Wieso?«
»Schau dir Iwase an. Wäre diese ganze fremde Kultur nicht nach Japan gekommen, dann wäre er für den Rest seines Lebens ein einfacher alter Knopfverkäufer - er wüsste nichts von Led Zep oder Verlaine oder Tomatensaft oder sonst was. Das ist doch irgendwie beängstigend, oder?«
»Also, verdammt noch mal, das Gleiche könntest du auch von dir oder von mir sagen. Du bist nur der Sohn eines einfachen alten Lehrers, richtig?«
»Falsch, ich bin der Sohn eines Künstlers , ich bin nicht aus irgendeiner Ko ...«
Ich wollte sagen »aus irgendeiner Kohlenmine gekrochen«, aber ich entschied mich dagegen. Adama hatte den Vorfall mit den Animierdamen immer noch nicht ganz verdaut.
Hinter dem Haus lag ein kleiner Garten, in dem Cosmeen blühten. Wäsche war dort zum Trocknen aufgehängt worden. Iwase hatte vier Schwestern, deshalb waren es überwiegend Petticoats und Höschen und Unterröcke und nur ein paar Männerunterhosen. Die Blumen nickten im Wind, und aus dem Fenster von Iwases Zimmer hörte man, wie jemand Gitarre spielte und dazu sang.
Shining in a puddle
is a sky deep blue
Walking past together
it’s only me and you
and it’s always winter
always winter ...
»Was zum Teufel ist das? Was macht er da, singt er Sutras? Erzähl mir nicht, dass er den Nichiren-Buddhisten beigetreten ist.«
Adama hatte schon wieder genug und meinte, ich solle den Scheiß lassen. Wir seien gekommen, um Iwase davon zu überzeugen, im Produktionsteam zu bleiben, verdammt noch mal. Das Problem mit Menschen aus Bergarbeiterstädten ist, dass sie einfach immer alles so ernst nehmen müssen. Vielleicht hat das mit den ganzen Explosionen und Einstürzen und so zu tun.
Adama klopfte vorsichtig an das Fenster. Iwase streckte seinen Kopf heraus und lächelte verlegen.
Er war viel besser gelaunt, als wir erwartet hatten. Er sagte, er sei bereit, in dem Film mitzuspielen und Eintrittskarten zu verkaufen und alles in der Halle aufzubauen, aber er wolle nicht, dass sein Name in Verbindung mit der Produktion genannt wurde.
»Es liegt nicht an euch«, versicherte er uns. »Ich gebe euch Jungs nicht die Schuld.«
Aber Adama hatte sich Iwases Brief nun einmal zu Herzen genommen. Er dachte, dass vielleicht eine Kluft zwischen Iwase und mir entstanden sei, weil er zu uns gestoßen war. Nach dieser verträumten Probe in der Kirche waren wir ins Boulevard gegangen, und dort hatten wir beschlossen, bei Iwase vorbeizuschauen und ihn zu überreden, bei Iyaya zu bleiben.
»Aber, Iwase, ich verstehe das nicht«, sagte er in seinem ruhigen, schleppenden Bergmannsdialekt. »Du spielst in dem Film mit, stimmt’s? Du hast nichts gegen mich oder Ken, stimmt’s? Also warum willst du dann aussteigen?«
»Adama, du verstehst das nicht, es ist ... es ist nur so, dass ich ... ich kann mich selbst nicht mehr ausstehen .«
Adama und ich schauten uns an. Ich kann mich selbst nicht mehr ausstehen.
Das war ein Satz, den ein Siebzehnjähriger nie, niemals sagen durfte - es sei denn, er wollte sich an eine Mieze heranmachen. Es gab
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