7 Minuten Zu Spät
ständig solche Fragen gestellt?« Ratlos blickte er Mike an, der ihm beruhigend die Hand auf die Schulter legte. Tröstende Worte fand er nicht. Keiner sagte etwas. Diese Männer, die Grillabende miteinander verbrachten, einander beim Renovieren und bei Umzügen halfen, die stundenlang miteinander über Politik, Kunst, Filme und Sport diskutierten und die regelmäßig zusammen in die Bronx oder nach Coney Island zu den Spielen der Yankees oder der Cyclones fuhren, brachten jetzt kein Wort heraus.
Nichts, das in dieser Situation eine Brücke von Tims Sorge zu ihrer aller Freundschaft hätte schlagen können.
»Bei uns waren sie auch«, sagte Alice schließlich.
»Sie waren bei uns allen«, ergänzte Maggie.
Tim drückte seine Zigarette in einem von Austins Farbtöpfen aus, in dem schon drei weitere Kippen lagen.
»Sie waren stundenlang hier.« Seine Stimme wurde lauter, und er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Er hatte tiefe Schatten unter den Augen. »Ob sie wohl glauben, ich hätte etwas mit Laurens Verschwinden zu tun? Glauben sie das tatsächlich?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Mike. »Sie machen nur ihren Job. Du bist der Mensch, der ihr am nächsten gestanden hat, deshalb müssen sie dir Fragen stellen.«
War er das tatsächlich? Der Mensch, der ihr am nächsten gestanden hatte? Er arbeitete so viel, selbst an den Wochenenden, dass er kaum zu Hause war. Wer war denn eigentlich der Mensch, der Lauren am nächsten stand? Austin, dachte Alice. Und natürlich Maggie und sie.
»Sie behandeln mich wie einen Verdächtigen«, flüsterte Tim.
»Ich bin Anwalt. Ich weiß, was hier abgeht. Das ist ein Albtraum. Sie wollen tatsächlich Antworten von mir. «
Nein, das hatte Tim nicht verdient, dachte Alice. Er war ein guter Mann, der hart arbeitete, für seine Familie sorgte und sie liebte. Alice und Mike kannten Tim seit fünf Jahren, und sie kannten ihn wirklich gut. Wenn die Polizei ihn tatsächlich verdächtigte, dann suchten sie in der falschen Richtung und verloren Zeit.
»Sie wollen von jedem Antworten«, warf Simon besänftigend ein.
»Ja, genau. Mensch, Tim«, sagte Maggie. »Sie wollen nur alles abdecken. Du brauchst dir keine Gedanken zu machen.«
Maggies hölzerne Bemerkungen konnte man normalerweise ignorieren, aber nicht diese. Tim blickte sie schnell an, und sein Blick war so hart, dass damit jegliche Möglichkeit zum Gespräch erstarb. Alice war bestürzt darüber, wie intensiv, erbarmungslos und wütend Tim Maggie anstarrte.
Es war schwierig danach, aber sie blieben. Als es dunkel wurde, spürte Alice in ihrem Inneren, wie eine Trauer um die enge Freundschaft der drei Familien aufkeimte. Sie versuchte zwar, sich klar zu machen, dass, solange Lauren vermisst wurde, jedes Wort und jeder Blick missverstanden werden konnte und keiner von ihnen sein Gleichgewicht finden würde. Doch irgendetwas fehlte zwischen den Freunden an jenem Abend, ein Zusammengehörigkeitsgefühl, an das sie sich gewöhnt hatten.
Alice und Mike blieben bis kurz vor Mitternacht, dann trugen sie ihre schlafenden Kinder nach Hause und fielen selber todmüde ins Bett.
Doch unter ihrer weichen, leichten Decke lag Alice wach neben Mike. Im Haus war es so still, dass sie jedes Geräusch hören konnte, das leise Ächzen der Balken, das Knacken der Fußbodendielen und jedes Auto, das draußen vorbeifuhr. Sie steckte sich Ohropax in die Ohren und zog ihre Augenmaske über. Jetzt war es absolut still und völlig dunkel. Sie wartete auf den Schlaf, aber er wollte sich nicht einstellen. Schließlich gab sie auf und erhob sich leise.
Vorsichtig, um niemanden zu wecken, huschte sie die Treppe zu ihrem großen Wohnzimmer hinauf, mit seinem Marmorkamin und den deckenhohen Fenstern. Die Bodendielen knarrten unter ihren Füßen, aber sie bemühte sich, nicht allzu viel Lärm zu machen, als sie in die Küche eilte. Dort schaltete sie das Licht ein.
Es war drei Uhr früh. Sie spürte, wie sich die Babys in ihrem Bauch bewegten, und fragte sich, ob sie sie wohl geweckt hatte oder ob sie um diese Uhrzeit immer wach waren. Das würde sie noch schnell genug herausfinden. Sie öffnete die Kühlschranktür, löffelte ein wenig Erdnussbutter aus dem Glas und schenkte sich ein Glas Orangensaft ein. Dann nahm sie den Laptop aus dem Regal an der Gartentür, stellte ihn auf den Küchentisch und schaltete ihn ein. Während sie darauf wartete, dass er hochfuhr, blickte sie in den dunklen, vom silbernen Mondlicht beschienenen Garten. Kein
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