7 Minuten Zu Spät
einstellt.
Alice drehte sich um und sah ihn. Der Limousinenfahrer stand direkt hinter ihr, so nahe, dass sie ihn hätte berühren können. Er hatte früher sicher einmal gut ausgesehen, aber jetzt zerfurchten tiefe Falten sein Gesicht, und dann diese Augen: eins grün und eins blau. Er nickte ihr zu und lief rasch dicht an ihr vorbei. Er roch nach ungewaschener Kleidung und Zigaretten. Sie sah ihm nach, wie er über die Straße ging.
Die Teenager-Kleopatra war auf sie zugekommen und starrte Alice mit einer Mischung aus Empörung und Besorgnis an. Unter all dem Make-up waren ihre Augen von einem sanften Braun.
»Alles in Ordnung, Ma’am?«, fragte das Mädchen.
Alice rieb sich die Augen. »Ich habe mich einen Augenblick lang nicht wohl gefühlt«, erwiderte sie.
»Der Typ ist ja fast in Sie hineingerannt«, sagte das Mädchen.
»Das Arschloch hat Sie ja nicht mal gesehen!«
Also war der Limousinenfahrer zumindest real und keine Ausgeburt ihrer Phantasie. Alice bedankte sich bei dem Mädchen und setzte ihren Weg fort. Heute Abend würde sie doch eine Schlaftablette nehmen, dachte sie, und morgen, wenn sie wieder klar denken konnte, sähe bestimmt alles anders aus.
Kurz vor elf kam sie im Blue Shoes an und schaltete das Licht an. Die prächtigen Farben, die Maggie für den Laden ausgesucht hatte, das Blau und Silber und das helle Holz lenkten Alice von ihrer Übelkeit ab. Sie öffnete die Kasse und beantwortete schon einmal ein paar E-Mails. Jason kam kurz nach elf, mehr oder weniger pünktlich.
Mit seiner drahtigen Gestalt in T-Shirt und Jeans, seinen hellen Augen und seinen kurz geschnittenen blonden Haaren erinnerte Jason Alice immer an Peter Pan: jung und süß und lächerlich hoffnungsvoll.
»Guten Morgen, Chefin.« Er lächelte sie kokett an und blickte auf die Uhr. »Heute bin ich aber pünktlich!«
Als ob zehn Minuten zu spät pünktlich wären, dachte sie. Laut sagte sie jedoch: »Mann, bin ich froh, dass du hier bist!«
Er kam um die Theke herum und küsste Alice auf beide Wangen, was sie überraschte. Er roch nach Eau de Toilette, völlig unamerikanisch. Offensichtlich hatte er sich mit einer der jungen Französinnen herumgetrieben, die seit kurzem die Gegend bevölkerten. Little France, nannte Maggie es immer. Einen Moment lang genoss sie seine parfümierten Küsse, dann allerdings revoltierte ihr Magen. Sie sprang auf, rannte zur Toilette und erbrach sich. Den Rest des Morgens verbrachte sie im friedlichen, schäbigen Hinterzimmer, lag auf der Couch und nahm ein bisschen Toast und Eiswasser zu sich. Sie hörte zu, wie Jason höflich eine Kundin bediente. Dreimal kam er wegen anderer Schuhe in der Größe der Frau nach hinten, und letztlich ging sie, ohne etwas gekauft zu haben. Aber das war nicht ungewöhnlich.
Eine Zeit lang war es ruhig. Dann kam Maggie. Kurz darauf läutete die Eingangsglocke schon wieder, und im Laden entspann sich ein lebhaftes Gespräch. Alice war sich sicher, Pam Shorts Stimme gehört zu haben. Entschlossen stand sie auf und ging nach vorne.
Pam saß auf der Mittelbank, wie eine Königin in einem fuchsienroten Kaftan mit unterschiedlich breiten grünen Streifen. Um ihre Haare hatte sie ein fuchsienrotes Band mit grünen Punkten geschlungen.
»Alice!« Pam breitete die Arme aus, stand aber nicht auf.
»Kommen Sie her! Lassen Sie sich umarmen!«
Alice beugte sich vor und schlang die Arme um Pam. Sie roch nach Babypuder.
»Habe ich einen Termin versäumt?«, fragte Alice. Die Übelkeit brachte anscheinend ihre innere Uhr völlig durcheinander.
»Nein«, erwiderte Pam. »Der ist doch erst um zwei Uhr. Kann ich nicht meinem Lieblingsschuhladen einen Besuch abstatten? Ich habe früh Mittagspause gemacht.«
»Wenig los im Büro heute früh?«, warf Maggie ein.
»Genau, meine Liebe.«
Maggie räumte gerade die Schuhe weg, die die andere Kundin anprobiert hatte, und legte einen Pumps in Dunkelorange zu seinem Gefährten in das Bett aus Seidenpapier. Vorsichtig setzte sie den Deckel auf den Karton und reichte ihn Jason.
»Warten Sie mal«, sagte Pam. »Ich möchte mir die Süßen mal anschauen.«
Maggie öffnete den Karton und hielt ihn Pam hin, als wolle sie ihr die köstlichsten Pralinen anbieten.
»Sollen wir ihn in Ihrer Größe heraussuchen?«
»O ja, bitte«, flüsterte Pam. Sie nahm einen der Schuhe aus der Schachtel und fuhr mit den Fingern über die Wildlederspitze. Kurz darauf kam Jason aus dem Hinterzimmer und verkündete: »In neun haben wir ihn leider
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