7 Minuten Zu Spät
Pam. Bis zwei dann.«
Alice legte auf. Dann fiel ihr ein, dass sie noch gar nicht versucht hatte, Frannie auf ihrem Handy zu erreichen. Sie nahm nach dem zweiten Klingeln ab.
»Was ist los, Alice? Man hat mir Ihre Nachricht von gestern Abend ausgerichtet. Ich hatte einen Einsatz, aber ich hätte Sie jetzt sowieso angerufen.«
Im Hintergrund rumpelte laut irgendeine Maschine, dann brach das Geräusch auf einmal ab. Stimmen waren zu hören.
»Ich habe gestern Abend ein Baby weinen hören.« Alice konnte Frannies Ungläubigkeit förmlich spüren.
»Ein Baby.«
»Hier, im Haus. Oben, in der Wohnung meines neuen Vermieters, Julius Pollack. Sagt Ihnen der Name was?«
»Durchaus«, erwiderte Frannie. »Erzählen Sie weiter.«
Alice beschrieb ihr alle Einzelheiten: ihre Begegnung mit Julius im Foyer, als er einzog, ihre Suche nach einem Haus, Pam Shorts Entdeckung, dass Laurens Vermieter – Metro – und ihr neuer Hauseigentümer ein und dieselbe Person waren, ihren Besuch bei Tim, der sich auf seinen Auszug vorbereitete, das schreiende Baby gestern Abend.
»Wussten Sie, dass er auch Laurens Vermieter war?«, fragte Alice.
»Ja«, erwiderte Frannie, »aber wir wussten nicht, dass er jetzt in Ihrem Haus wohnt.«
»Was ist mit Christine Craddock? Hieß ihr Vermieter auch Metro Properties? Sollte sie auch aus ihrer Wohnung vertrieben werden?«
Frannie schwieg, und Alice hörte, wie die Stimmen hinter ihr lauter wurden.
»Alice, ich muss jetzt los«, sagte Frannie, »aber es war gut, dass Sie angerufen haben.«
»Glauben Sie, Ivy ist da oben?«
»Das bezweifle ich, aber wir werden es überprüfen.«
»Wie soll ich mich verhalten? Was soll ich tun, wenn ich das Baby wieder schreien höre?«
»Rufen Sie uns sofort an.«
KAPITEL 20
E s gab so viele Dinge, an die sie nicht denken wollte – Ivy, das schreiende Baby oben, die herzlosen Kündigungen von Metro, Pollacks Schuhe, Maggies Heimlichkeiten und Laurens Leiche, die im Kanal trieb. Und doch schwirrten ihr all diese Gedankenfetzen durch den Kopf. Das Einzige, was ihr Halt gab, war ihr unmittelbares Ziel: ein Haus zu finden, um von Julius Pollack und seinem mysteriösen Geschäftspartner wegzukommen. Und schließlich das größere Ziel: Ivy zu finden.
Während sie an diesem Mittwochmorgen die fünf Häuserblocks zum Blue Shoes ging, spürte Alice wieder einmal, wie Übelkeit in ihr aufstieg. Erschöpfung und Übelkeit schienen zusammenzuhängen, das eine bewirkte das andere. Sie hatte Mike zwar versprochen, heute Abend eine Schlaftablette zu nehmen, war sich aber nicht sicher, ob sie das auch tun würde. Es machte ihr einfach zu viel Angst. Contergan hatte damals auch als sicher gegolten, Wenn sie wirklich eine Schlaftablette brauchte, gelobte sie sich, würde sie schon eine nehmen. Jetzt schaute sie sich erst einmal mit Pam ein weiteres Haus an und versuchte, ihre Familie vor Julius Pollack in Sicherheit zu bringen.
Schließlich hatte sie das Gesetz auf ihrer Seite, rief sich Alice ins Gedächtnis. Und wenn Pollack wirklich Ivy in seiner Wohnung haben sollte, wenn er auf irgendeine Weise in den Tod von Lauren oder Christine Craddock verwickelt war, dann konnte er jetzt nicht mehr entkommen. Die Polizei hatte ihn im Auge.
Die Übelkeit war schlimmer geworden, und jetzt wurde ihr auch noch schwindlig. Das Nächste, was sie wusste, war, dass sie auf dem schmutzigen Pflaster des Bürgersteigs kniete.
Rasch vergewisserte sie sich, ob sie erbrochen hatte. Nein, zum Glück nicht. Vorsichtig stand sie auf und blickte sich verlegen um, um festzustellen, ob sie jemand gesehen hatte. Ein alter Mann in einem Türeingang auf der anderen Straßenseite nickte ihr zu und winkte. An der Ecke stand ein junges Mädchen mit riesigen Goldringen in den Ohrläppchen und dramatisch geschminkten Kleopatra-Augen und starrte sie an. Sie musste wohl wie eine Frau wirken, zu der solche Mädchen niemals werden wollten, dachte Alice. Am liebsten hätte sie ihr zugerufen: Wart’s ab, dir wird’s auch noch so gehen! Sie umklammerte ihre Handtasche und ging vorsichtig weiter. An der Kreuzung wartete sie, bis die Ampel umsprang, und dann überquerte sie die Straße, ohne ihren Zeugen noch einen weiteren Blick zu schenken.
Wieder stieg Übelkeit in ihr auf. O Gott, nicht schon wieder! Sie blieb stehen, um zu warten, bis das Gefühl vorbei war. Hinter sich hörte sie Schritte, die ebenfalls anhielten ; es war wie die plötzliche Stille, die eintritt, wenn der Kühlschrank sein Summen
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