7 Werwolfstories
Er war schon lange nicht mehr in der Lage, seinen Geist zu beherrschen, sinnvolle und logische Gedankengänge zu führen – die drei Jahre Gefangenschaft im Keller, die menschenunwürdige Behandlung durch Tanja hatten ihn in eine geistige Umnachtung getrieben. Aber er hatte seine Sinne noch soweit beisammen, daß er wußte, was die einsetzenden Schmerzwellen zu bedeuten hatten.
Er wußte, daß die Intervalle zwischen den aufeinanderfolgenden Schmerzwellen immer kürzer wurden. Es waren die untrüglichen Anzeichen der bevorstehenden Verwandlung. Er kämpfte dagegen an, war aber machtlos. Er wollte sich nicht verwandeln, er wollte Mensch bleiben. Aber er kam gegen das andere, das Böse in ihm, das immer in Vollmondnächten Gestalt annahm, nicht an. Unhaltbar schritt die Metamorphose voran; die Bestie in ihm wurde geweckt, streckte sich und nahm immer mehr von seinem Körper und seinem Geist Besitz. Sein Ich wurde in die Tiefen des Unterbewußten verdrängt, und gleich einem pervertierten Phönix stieg sein Unterbewußtsein an die Oberfläche. Durch die Verwandlung wurde sein abgestumpfter Geist geschärft, seine Gedanken gewannen immer mehr an Klarheit, die Erinnerung kam zurück.
Gleichzeitig mit seinen schlummernden geistigen Fähigkeiten kam aber auch die Bestie in ihm zum Vorschein und veränderte seinen Körper. Robert war nie besonders behaart gewesen, die Haut auf seinen Armen und Beinen war fast feminin glatt, wenn man von den Narben und offenen Wunden absah, die ihn verunstalteten. Jetzt jedoch bildeten sich Haarbüschel an seinen Armen und Beinen, auf seinem Rücken und auf der Brust, sie wuchsen so rasch, daß sein ganzer Körper innerhalb weniger Minuten von einem dichten, zottigen Fell eingehüllt war.
Aber die Verwandlung war noch nicht abgeschlossen. Er spürte den Krampf in Fingern und Zehen und wußte, daß sich Krallen bildeten. Seine Augen füllten sich mit Tränen, als seine Nerven revoltierten. Wie durch einen Schleier sah er, daß Tanja gestikulierte und mit weit geöffnetem Mund lachte und schließlich die Peitsche auf den Boden warf und den Keller verließ. Er war froh darüber, daß sie ihn während der Metamorphose meist in Ruhe ließ.
Er erinnerte sich an die vielen Vollmondnächte, die er bereits in Ketten zugebracht hatte, und er erinnerte sich an die Zeit davor, als er noch seine Freiheit genossen hatte und das wilde Blut in seinen Adern auf vielerlei Arten gekühlt hatte. Und doch war er damals ein Narr gewesen.
Er sah seine Fehler ein, aber wahrscheinlich würden sie nie mehr gutzumachen sein. Er war Tanjas Gefangener.
Er brüllte auf vor Schmerz und Wut; tausend Nadeln stachen in seinem Schädel, das Pochen schien die Knochendecke sprengen zu wollen – das war das Endstadium der Metamorphose. Jetzt war der Schmerz am größten, denn der wichtigste Teil seiner Persönlichkeit wurde verwandelt, sein Ego. Und die wichtigsten äußeren Merkmale eines Werwolfs bildeten sich: Die Schnauze befreite sich aus der umspannenden Menschenhaut, die Fangzähne lösten das Menschengebiß ab. Schließlich wurde die Pein so unerträglich, daß Robert für Minuten in einen ohnmachtsähnlichen Erschöpfungszustand fiel, aus dem er als vollwertiger Werwolf erwachen würde.
Er erinnerte sich an einen Ausspruch Tanjas, die die Schmerzwogen der Metamorphose mit den Wehen bei der Geburt eines Kindes verglich. Das war treffend, denn auch hier wurde etwas geboren, das Böse nahm Gestalt an.
Tanja war überhaupt sehr intelligent und zielbewußt, deshalb war es ihm noch nicht gelungen, sie zu bewegen, daß sie seine Fesseln löste. Sicher wußte sie, daß er sie dann zerreißen würde wie
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