7 Werwolfstories
mir Exemplare der Fachzeitschrift für englische und germanische Sprachlehre um die Ohren, während ich arglos zum Institut wandle? Handelt es sich vielleicht um Telekinese?«
»Entschuldige«, wiederholte Wolf kurz. »Ein Temperamentsausbruch. Ich konnte Glocks blöde Argumentation nicht länger ertragen. Adieu.«
»Eine Sekunde.« Professor Fearing kramte in den unzähligen Taschen seines Anzugs herum und brachte ein Blatt gelbes Papier zum Vorschein. »Ich glaube, das ist deins.«
Wolf griff danach und zerriß es in winzige Schnitzel.
Fearing grinste vergnügt. »Wie gut ich mich der Zeiten erinnere, da Gloria hier studierte! Erst gestern abend mußte ich wieder daran denken, als ich mir Mondlicht und Melodie ansah. Die ganze Abteilung hat sie damals auf den Kopf gestellt. Meine Güte, wenn ich jünger gewesen wäre …«
»Ich gehe jetzt. Emily, Sie denken an Herbrecht?«
Emily schnupfte und nickte.
»Hör mal, Wolfe«, sagte Fearing ernst. »Ich wollte dich nicht verärgern. Aber du mußt dich nicht so in deinen Kummer verbohren. Es gibt bessere Mittel, um deine Sorgen loszuwerden, als die Beherrschung zu verlieren oder dich zu betrinken.«
»Wer hat davon gesprochen, daß …«
»Mußtest du es erst aussprechen? Nein, mein Junge, wenn du – du bist nicht streng religiös, oder?«
»Großer Gott, nein«, sagte Wolf.
»Wenn du nur – ich möchte dir einen Vorschlag machen, Wolfe. Komm doch heute abend in den Tempel. Wir haben eine besondere Zeremonie geplant. Vielleicht lenkt dich das von Glo… – von deinem Kummer ab.«
»Nein, danke. Ich wollte ja immer mal deinen Tempel besuchen – ich habe schon viel davon gehört –, aber nicht heute abend. Ein andermal.«
»Aber heute abend wird es besonders interessant.«
»Wieso? Was ist so Besonderes am dreißigsten April?«
Fearing schüttelte sein ergrautes Haupt.
»Es ist geradezu schockierend, wie unwissend manche Gelehrte außerhalb ihres Fachgebiets sind – nun, du weißt ja, wie es ist, Wolfe, ich hoffe, daß du doch kommst.«
»Vielen Dank. Aber mit meinen Problemen werde ich auch ohne die Hilfe übernatürlicher Kräfte fertig. Ich schaffe es mit ein paar anständigen Zombies – es geht nichts über eine Wiederbelebung. Auf Wiedersehen, Oscar.« Er war schon fast draußen, als ihm noch etwas einfiel. »Tschüs, Emily.«
»Wie übereilt«, murmelte Fearing. »Nein, wie unbedacht! Ach ja, es ist schön, jung zu sein, nicht wahr, Emily?«
Statt einer Antwort stürzte sich Emily auf ihre Arbeit, als ob alle Höllenfurien hinter ihr her seien – und so war ihr auch zumute.
Die Sonne ging schon unter, doch Wolfs tragische Geschichte hatte immer noch kein Ende gefunden. Der Barkeeper hatte jedes einzelne Glas auf Hochglanz poliert, doch strömten die endlosen Wiederholungen nach wie vor an seinem Ohr vorbei: Er wurde zwischen dem Gefühl einer geradezu tödlichen Langeweile und uneingeschränkter Bewunderung für die unbegrenzte Trinkfestigkeit seines Gastes hin und her gerissen.
»Habe ich Ihnen schon erzählt, wie sie mitten im Semester schwänzte?« fragte Wolf.
»Erst dreimal«, sagte der Barkeeper.
»Na gut. Dann werd’ ich’s Ihnen erzählen. Sie verstehen, so mach’ ich das sonst nicht. Pro … profeschonelle Ethik, die hab’ ich, ja. Aber das hier war anders. Es war nicht einfach jemand, der es nicht wußte, bloß weil er es nicht wußte. In dem Fall war es ein Mädchen, das es nicht wußte, weil es nicht zu der Sorte Mädchen gehörte, die über die Sachen Bescheid wußte, die ein Mädchen wissen muß, wenn es zu der Sorte gehört, die das eben wissen muß. Verschtehnse?«
Der Barkeeper warf dem rundlichen kleinen Mann, der am anderen Ende der Theke saß und langsam einen Gin Tonic schlürfte, einen
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