7 Werwolfstories
zusammenrückenden Wolkenbänke fanden, grau und schäumend, wo es vergeblich gegen die Klippenbarriere ankämpfte. Welche Kraft und Leidenschaft in diesem Element schlummerte! Tanja war einst ebenfalls leidenschaftlich gewesen, aber das lag schon lange zurück. Zehn Jahre ungefähr. Jetzt war sie abgestumpft, ausgehöhlt, weder für Leiden noch für Freuden empfänglich, bar jeglichen Empfindens. Sie brachte nicht einmal mehr die nötige Liebe für ihren Sohn auf, für den sie diese ganze schreckliche Bürde auf sich genommen hatte.
Das einzige, was sie konnte, war: hassen. Ja, sie haßte Robert, sie haßte ihn aus vollem Herzen, mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft. Denn es war Robert, der das aus ihr gemacht hatte, was sie jetzt darstellte: ein nutzloses, verbittertes Geschöpf. Er war der Mann, der vor zehn Jahren in ihr Leben trat und nach einem kurzen Intermezzo spurlos verschwand. Sieben Jahre später kam er zu ihr zurück und gab ihr erneut Hoffnung. Er versicherte, daß ihn ihr uneheliches Kind nicht störe, daß er Arno wie seinen eigenen Sohn liebhaben würde; er versprach alles, was eine Frau in Tanjas Lage gerne hörte. Aber kaum hatten sie geheiratet, zerstörte er Tanjas Wunschgebilde auf brutalste Weise.
Sie haßte ihn!
»Signora?«
Erschrocken wirbelte Tanja herum, aber als sie das Dienstmädchen schüchtern im Türrahmen stehen sah, lachte sie befreit auf.
»Ach, du bist es nur, Angela«, sagte sie und kam vom Fenster einige Schritte ins dämmerige Wohnzimmer. Sie ließ sich in den bequemen alten Ledersessel fallen und seufzte. Ohne das Dienstmädchen anzublicken, fragte sie: »Tut es dir leid, daß du uns verläßt?«
»Ich glaube … ja, Signora, mir hat es manchmal sehr gut gefallen«, stotterte Angela. Sie stand immer noch unschlüssig im Türrahmen, den Koffer und eine Reisetasche neben sich gestellt.
Tanja sah sie immer noch nicht an. Sie sagte: »Nur manchmal hat es dir also gefallen. Wann nicht?«
»Wie meinen Sie das, Signora?«
Ohne hinzusehen, wußte Tanja, daß Angelas Augen jetzt groß und rund geworden waren, das taten sie immer, wenn Angela grenzenloses Erstaunen ausdrücken wollte.
»Ich werde dir sagen, wie ich das meine«, erklärte Tanja. »Dir hat es hier nur gefallen, wenn du ungehindert den Kühlschrank plündern konntest. Dir hat es gefallen, wenn du meine Zerstreutheit ausnutzen konntest, um achtlos liegengelassenes Geld zu stehlen. Aber dir hat es nicht gefallen, wenn du das teure Porzellan zerschlagen hast, und ich dich zur Rede stellte. Wenn du …«
»Signora!« schrie Angela auf. »Das ist nicht wahr!«
»Und du lügst auch noch«, entgegnete Tanja kalt. »Wenn du das Geld wenigstens deiner Mutter geschickt hättest, dann könnte ich es einsehen. Sie ist arm und kränklich, und Gott allein weiß, was sie mit dir mitmacht. Aber nein, du hast das gestohlene Geld nicht ihr zukommen lassen, du hast es diesem Umberto zugesteckt. Oder stimmt das nicht?«
»Es ist nicht wahr!« kam es tränenerstickt über Angelas zitternde Lippen.
»Dann hast du das Geld etwa doch deiner Mutter geschickt?« fragte Tanja lauernd.
»Ja, ich … Nein! Ich habe kein Geld gestohlen.« Angela hatte zu spät erkannt, welche Falle ihr gestellt worden war. Aber sie war klug genug, sich nicht auf weitere Diskussionen einzulassen.
»Darf ich jetzt gehen, Signora?« fragte sie und wischte sich mit dem Ärmel des Regenmantels über die Augen.
»Willst du nicht noch etwas bleiben und mir Gesellschaft leisten?« erkundigte sich Tanja plötzlich freundlich. Aber gleich darauf erhielt ihre Stimme die gewohnte Schärfe zurück. »Dein Zug geht doch erst in zwei Stunden. Wie willst du die totschlagen? Der Bahnhofswartesaal ist zugig und
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