7 Werwolfstories
Steinmauer gekettet war. Das Gesicht war unter dem langen, verfilzten Haupt- und Barthaar kaum zu erkennen. Nur die Augen stachen fiebrig daraus hervor. Gierig blickten sie auf Tanjas Hand, die das verschimmelte Stück Brot hielt.
»Aber natürlich«, sagte Tanja, als sie den Blick der glühenden Augen deutete, »ich habe dich nicht vergessen. Da, fang auf!«
Obwohl die Armketten nur einen halben Meter lang waren, fing Robert das Brot geschickt auf. Er streckte die Rechte, erreichte das Brot mit den Fingerspitzen und gab ihm eine andere Flugrichtung, so daß es in die aufgehaltene Linke fiel.
»Bravo!« rief Tanja und klatschte in die Hände.
Robert beachtete sie nicht, er grub seine Zähne in das harte Brot und riß ein Stück davon ab. Er kaute es nicht erst lange, sondern schluckte es, um dem nächsten Bissen Platz zu machen. Er war hungrig, und dementsprechend schnell hatte er das Stück Brot verschlungen. Als er fertig war, betrachtete er ungläubig seine Hände und leckte mit heißer, klebriger Zunge die letzten Krümel auf. Danach suchte er mit den Augen und tastenden Zehen den Boden ab, fand aber nichts außer Schmutz.
Robert grunzte unzufrieden.
»Hast du noch Hunger?« fragte Tanja.
Er nickte eifrig.
»Kannst du nicht sprechen?«
»Hungrig«, krächzte er. »Hunger!«
»Es gibt nichts mehr«, erklärte Tanja.
Wieder stieß Robert einen unzufriedenen Laut aus.
»Es gibt nichts mehr, habe ich gesagt!« schrie sie ihn an. »Hast du nicht verstanden, du gefräßiges Ungeheuer?«
Robert schreckte zurück, preßte Arme und Beine so gut es ging gegen den Körper und blinzelte verstohlen zu ihr hinüber.
»Was ist? Warum fürchtest du dich?« erkundigte sich Tanja, obwohl sie wußte, daß Roberts Instinkt ihn das Kommende ahnen ließ. Außerdem gehörte nicht viel Instinkt dazu, denn der Ritus wurde von ihr in jeder Vollmondnacht nach dem gleichen Schema zelebriert. Zuerst das Brot, dann die Beichte und schließlich die Peitsche.
»Warum zitterst du?«
Er winselte. Sie wartete. »Angst«, stieß er keuchend hervor.
»Wovor fürchtest du dich? Etwa vor der Sühne? Das ist egoistisch, Robert. Gerecht ist, daß du für deine Sünden büßen mußt.«
Tanja schlug die Tür zu, und Robert richtete seine Augen auf das Stück freigelegte Wand. Dort hingen eine Peitsche und ein Revolver.
Langsam ging Tanja zu der Peitsche, nahm sie behutsam herunter und ließ sie einmal kräftig schnalzen.
»Vollmond ist’s, Robert«, sagte sie. In ihren sonst so lethargischen Körper kam Leben, ihre Augen sprühten vor Haß. »Beichte!«
Die ausgemergelte Kreatur, die in Ketten hing und ihr Mann Robert war, kreischte ängstlich auf; es klang wie der Klagelaut eines Wolfes.
Tanja sprang mit zwei Sätzen näher, holte mit der Peitsche aus, und der geflochtene Lederriemen schlug klatschend auf Roberts zusammengekrümmten Körper. Die Ketten rasselten, als er sich vor Schmerz aufbäumte.
»Beichte deine Sünden!« schrie ihn Tanja an; bevor sie noch ein zweitesmal zuschlagen konnte, sprudelte Robert unverständliche Laute hervor, die erst bei längerem Hinhören als sinnvolle Worte zu erkennen waren.
»Ich gestehe … habe ein siebzehnjähriges Mädchen … getötet … als es sich ahnungslos mit mir verabredete – in einer Vollmondnacht. Ich gestehe und bereue!«
»Du und bereuen!« Tanja spie die Worte förmlich aus. Wieder holte sie mit der Peitsche aus, aber wieder hielt sie mitten in der Bewegung inne. Robert begann plötzlich scheinbar grundlos zu winseln, sein Körper schüttelte sich in Krämpfen.
Tanjas Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen.
»Es überkommt dich also bereits wieder«, stellte sie fest.
Als der Schmerz nachließ, fiel Roberts Körper kraftlos in sich zusammen.
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