7 Werwolfstories
um die Schüsse und Schreie zu hören, oder, was viel entsetzlicher war, sie hören konnte, jedoch zu schwach war, um antworten zu können. Das lastete auf Roger wie ein düsterer Alptraum, der sich plötzlich auflöste, als ein Ruf an sein Ohr drang; sein Herz stand still und begann dann schmerzhaft wieder zu schlagen, denn ihm war, als habe er Helmas Stimme vernommen – Helma, die da schrie, ganz in der Nähe …
Er packte Neils Arm.
»Haben Sie das gehört?«
»Es war eine Spottdrossel oder so …«, sagte sie zweifelnd.
»Es ist Helma! Kommen Sie!«
»Roger!« Sie hielt ihn fest. »Ich habe nichts gehört. Überstürzen Sie nichts! Moment – da ist doch etwas – Schritte – ich glaube, das ist Bob.« Sie hob die Stimme. »Bob! Hel-ma! Hel-ma!«
Die Nacht wurde von dem Krachen eines in der Nähe abgefeuerten Schusses zerrissen; noch zwei rasch aufeinander folgende Schüsse, dann ein Knacken im Gehölz, und Bob Connor trat hervor.
»Neil! Roger! Was macht ihr hier? Ihr seht aus, wie … Ist Helma etwas zugestoßen?«
»Sie ist weg!«
»Mein Gott!« sagte Bob Connor. »Wie lange sucht ihr sie schon?«
»Die ganze Nacht, Bob. Ich habe sie gerade schreien gehört! Sie ist da drüben …« Roger redete wie ein Irrer. »Ich hab’ sie gehört, und dann noch etwas – das Quäken eines Babys …«
»Ruhig, Roger, ruhig!« Voll Mitleid griff Bob Connor nach Rogers Arm. »Ich habe nur eine Katze erschossen. Ein großes Weibchen, das gerade geworfen hatte. Ich konnte die kleinen Dinger nicht ohne ihre Mutter liegen lassen, und so habe ich sie auch erschossen.«
»Es ist Helma! Helma ist da drüben, sterbend! Lassen Sie mich los, o verdammt, lassen Sie mich los!« Er riß sich aus Bobs Griff los und rannte auf das Gehölz zu. Die Connors folgten ihm und holten ihn ein, als er den toten Luchs erreichte.
Es war ein riesiges Weibchen, noch nicht steif, mit honigfarbenem Fell und weit aufgerissenen Augen, und neben ihr lagen die noch mit Geburtsschleim bedeckten Körperchen der Jungen. Einen Augenblick stand Roger wie versteinert vor dem reglosen graziösen Tier, dann brach er fast zusammen. Bob Connor legte einen Arm um seine Schultern, um ihn zu stützen.
»Kommen Sie, Roger, kommen Sie, wir gehen zurück, Sie sind am Ende Ihrer Kräfte. Kommen Sie, machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden Helma finden. Wenn wir zu Hause sind, trinken Sie erst mal einen Kaffee, und Sie sehen ganz so aus, als ob ein Schluck Whisky ihnen guttun würde. Kommen Sie. Sie sind ja völlig fertig, Mann.« Während er sprach, hatte er den willenlosen Roger zum Pfad zurückgeführt. »Sobald wir zu Hause sind«, redete er ihm gütlich zu, »hole ich das Auto und mobilisiere die Staatspolizei. Die werden dann alles absuchen. Vielleicht ist sie durch den Wald zu einem anderen Hof gelaufen. Sie werden sie schon finden, Roger. Kommen Sie.«
Roger hob ruckartig seinen Kopf und sah mit dem leeren Blick eines Menschen, den man gerade über den Schädel geschlagen hat, der aber noch keinen Schmerz fühlt, in Bob Connors Augen.
»Es hat keinen Sinn, Bob. Helma ist tot. Ich weiß, daß sie tot ist.« Er ließ den Kopf sinken und brach in Schluchzen aus. Bob und Neil Connor wechselten einen ernsten, mitleidigen Blick. »Er ist am Ende. Kommen Sie, Roger. Stützen Sie sich auf mich. Nun kommen Sie schon. Sie Ärmster …«
Und das ist das Ende der Geschichte; denn Helma Lassiter kehrte nie zurück. Manchmal fragen sich die Bauern, was der armen verrückten Frau wohl zugestoßen sein mag.
In jenem Sommer fuhr ich mit dem Fahrrad oft am Haus der Lassiters vorbei und sah Mr. Lassiter auf der Terrasse sitzen, tagein, tagaus, und zum Wald hinüberstarren. Der Rasen verkam, und die Hasen wagten sich bis zu seinem Sitzplatz in den Garten hinein. Und mein Vater ließ mich nie wieder zum Nüssesuchen in den Wald gehen, wenn er
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