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70 - Der Weg zum Glück 05 - Das gefälschte Testament

70 - Der Weg zum Glück 05 - Das gefälschte Testament

Titel: 70 - Der Weg zum Glück 05 - Das gefälschte Testament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Kraft, ihren schweren Kummer niederzukämpfen. Sie sagte:
    „Von heut und gestern ist das freilich nicht, was mich so traurig gemacht hat. Es ist das vielmehr aus derselben Zeit, in welcher er dich kennengelernt hat. Vielleicht stammte es sogar noch von früher her. Die Veranlassung ist auch eine Damenbekanntschaft, eine Liebe, welche von der Betreffenden zurückgewiesen wurde. Dies hat ihn zu einem Verbrechen getrieben, für welches mir jede Bezeichnung entgeht. Ich finde kein passendes Wort, meinen Abscheu auszudrücken.“
    „Ein Verbrechen? Ist es ein schlimmes?“
    „Es kann kein verabscheuungswürdigeres geben. Es ist schlimmer als ein Mord.“
    „Kind, du erschreckst mich sehr.“
    „Oh, wie bin ich erst erschrocken, als ich es vorhin erfuhr! Er hat eine brave Familie unglücklich gemacht, indem er ihr ihre Ehre raubte. Der Mörder schlägt sein Opfer tot; dasselbe kann dann nichts mehr fühlen. Hier aber ist eine Familie moralisch tot gemacht worden; sie hat äußerlich fortgelebt und also allen Jammer empfinden müssen. Ihr ist gewesen wie bei der Vivisektion einem Hund, welchen man lebendig auf das Brett spannt und ihm das Maul verschließt, damit er nicht heulen und seine entsetzlichen Schmerzen laut werden lassen kann.“
    „Wie ist das zugegangen?“
    „Mit einem teuflischen Raffinement. Höre mich an. Du bist mir eine liebe, traute Mutter geworden. Dir kann ich alles mitteilen.“
    Sie erzählte, was sie von Keilberg erfahren hatte. Auch Frau Holberg war entsetzt über das, was sie hörte; aber sie nahm es auch mit dem kritisierenden Verstand auf. Sie fragte:
    „Glaubst du, daß er das getan hat?“
    „Gewiß.“
    „Du hältst ihn also einer solchen Tat fähig?“
    „Leider ja. Es ist traurig, wenn ein Kind ein solches Urteil über seinen Vater fällen muß; aber ich kann mir nicht helfen; ich muß es tun. Er hat gegen mich gezeigt, daß er aller Ehre und aller Gefühle bar sei. Ich traue ihm nun auch diese Tat zu.“
    „Aber dieser Vagabund kann dich betrogen haben.“
    „Das nehme ich nicht an.“
    „Um dich zu einer Geldzahlung zu bestimmen.“
    „Geld will er allerdings haben; das ist ja seine offen ausgesprochene Absicht; aber belogen hat er mich nicht. Er hat nicht mit mir, sondern mit dem Vater reden wollen, von welchem er glaubte, daß er sich hier auf Schloß Steinegg befinde. Ihm hat er ganz dasselbe sagen wollen. Es ist keine Erfindung, was ich habe anhören müssen. Freilich hat er sich in mir getäuscht. Er erhält nichts, keinen Pfennig.“
    „So wird er die Sache ausplaudern.“
    „Mag er! Ich fürchte ihn nicht.“
    „Aber die Rücksicht auf deinen Vater –“
    „Auf ihn? Er geht mich nichts an. Er ist mein Vater nicht mehr. Nicht auf ihn, sondern auf jenen bedauernswerten von Sandau und dessen Familie habe ich Rücksicht zu nehmen. Ihre Ehre muß wieder hergestellt werden.“
    „Das kann aber nur dadurch geschehen, daß dein Vater an den Pranger gestellt wird!“
    „Ich kann ihm nicht helfen. Es gibt für mich gar keinen Zweifel, wie ich zu handeln habe. Wäre mein Verhältnis zu meinem Vater ein kindlich innigeres, so würde ich nicht schweigen. Ich würde mich tief unglücklich fühlen, ihn aber doch veranlassen, die böse Tat nach Kräften zu sühnen. Nun er aber meine Liebe getötet und die Achtung und Ehrerbietung, welche das Kind den Eltern zollt, mir aus dem Herzen gerissen hat, werde ich nicht ihn bitten, sondern ihn geradezu zwingen, seine Pflicht zu tun.“
    „Er wird sich nicht zwingen lassen.“
    „O doch! Meinst du, daß ich ihn etwa aufsuche, um mit ihm zu reden?“
    „Willst du das nicht?“
    „Nein. Von mir würde er sich doch nicht zu der gebotenen Handlung bestimmen lassen. Nein, ich zwinge ihn durch die Polizei.“
    „Milda!“ rief Frau Holberg erschrocken.
    „Ja“, wiederholte das Mädchen, „durch die Polizei!“
    „So willst du die Anzeige machen?“
    „Ja. Ich lasse diesen Keilberg arretieren.“
    „Ach! Darum hast du ihn hierbehalten?“
    „Ja.“
    „Warum hast du da nicht bereits nach der Polizei gesandt?“
    „Weil ich erwarte, daß Max heute noch kommt. Er ist mein Bruder, und ich will ihn um Rat fragen. Ich möchte in dieser Angelegenheit nichts ohne ihn tun.“
    „Vielleicht wird er dir abreden.“
    „Das glaube ich nicht.“
    „Es ist ja möglich, daß der Polizei die Macht über diesen Keilberg entgangen ist. Ich verstehe mich auf die Gesetze nicht; aber es ist seit jener Tat eine solche Zeit vergangen, daß ich

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