70 - Der Weg zum Glück 05 - Das gefälschte Testament
Sandau. Und daß ich Ihrer nicht bedürfen werde, das steht noch gar nicht so fest, wie Sie meinen. Wer so arm ist, wie ich sein werde, der kann der Freunde gar nicht genug besitzen. Ich spreche da nicht etwa von der pekuniären Armut, sondern von einer ganz anderen, von der inneren. Und aufrichtig will ich Ihnen gestehen, daß ich grad über Ihre Ergebenheit mich recht herzlich freue.“
„Wenn ich das glauben dürfte!“
„Sie dürfen es.“
„So danke ich Ihnen aus vollem Herzen!“
„Und ich hege auch keineswegs die Absicht, auf Sie und Ihre gute Mutter zu verzichten. Ich werde die letztere sehr oft besuchen.“
„Um hoch willkommen zu sein!“
„Hoffentlich! Jetzt haben Sie zu mir fast wie zu einem höheren Wesen aufgeschaut. Dann aber, wenn ich ebenso arm bin wie Sie, dann können wir in herzlicherer Weise miteinander verkehren. Darauf freue ich mich, und das ist eine der sicheren Tröstungen, welche ich von der Zukunft erwarten darf.“
Das Herz schwoll ihm. Wie gern hätte er gesagt, was er für sie fühlte.
Aber durfte er? Schon holte er tief Atem, um das Wort auszusprechen. Sie mochte ahnen, was in ihm vorging. Sie entzog ihm die Hand und fügte hinzu:
„Und nun lassen Sie uns scheiden. Ich darf Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen und sehe auch bereits meine liebe Frau Holberg kommen. Auf Wiedersehen!“
Man konnte durch das Fenster sehen, daß die Genannte von der Straße her nach dem Schloß einbog. Er verbeugte sich, stammelte noch einige Worte und ging.
Draußen begegnete er Frau Holberg. Er grüßte höflich und eilte weiter.
Sie hatte gesagt, daß der König ihr helfen werde. Wie leicht konnte der Monarch glauben, große Freude anzurichten, indem er sagte, wo der Aufenthalt der Familie von Sandau sei. Darum ging Rudolf nicht nach Eichenfeld zurück, sondern er schritt, anstatt links abzubiegen, graden Wegs auf Hohenwald zu.
Er hoffte, den König zu treffen und wollte ihn bitten, sein Geheimnis nicht zu verraten. Als er ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, nur mit sich selbst beschäftigt, und gar nicht auf die Umgebung achtend, rief eine Stimme aus den Büschen heraus:
„Guten Morgen, Herr Sandau! Grüß halt Gott!“
Er blieb stehen und schaute sich um; aber er sah niemand.
„Ja, wann 'S mich sehen wollen, so müssen 'S halt ein wengerl nähertreten.“
Er trat zwischen die Büsche hinein. Da saß der Wurzelsepp, den Stock und Rucksack neben sich und den alten Hut, welcher jetzt voller Erdbeeren war, zwischen den Beinen.
„Ah, Sepp, du bist's! Grüß dich Gott!“
„Schönen Dank! Wollen 'S mit tun?“
„Danke!“
„Na, na! Danken tut man erst, wann man gessen hat. Schaun 'S her, was für Beeren das sind! Die richtigen feinen und guten. Die haben den echten Duft. Die sind ganz anderst als die anderen, welche in deren Gärten zogen und derbaut werden. Da, legen 'S Ihr Schnupftücherl unter, damit 'S sich nicht die Hosen schmutzig sitzen, und setzens sich herbei. Der Hut ist voll, und so reicht's für uns beide aus.“
„Ich danke wirklich. Ich habe keine Zeit!“
„So! Sind 'S etwa Schnelläufer worden?“
„Nein. Aber können Sie mir sagen, wo sich der König befindet?“
„Welcher? Der grüne oder eicheine?“
„Unsinn! Unserer!“
„Ach so! Der wird wohl in Bayern sein.“
„Alter, mach mir keine Dummheiten! Ich habe notwendig mit ihm zu sprechen.“
„So? Was denn?“
„Das ist ein Geheimnis.“
„So? Na, dann dürfen 'S ihm das Geheimnis doch auch nicht verraten.“
„Ihm ja, dem kann ich's sagen.“
„So! Aber mir wohl nicht?“
„Nein.“
Da zog der Alte ein Gesicht, wie der Fuchs es ziehen würde, wenn der Hase zu ihm sagte, daß er ein guter Braten sei. Er steckte eine ganze Hand voll Erdbeeren in das gewaltige, mit prachtvollen Zähnen eingefaßte Loch, welches sich unter seinem Schnurrbart öffnete, zerkaute sie, schluckte sie hinab und meinte dann lachend:
„Ja, der Sepp braucht nix zu wissen. Der plaudert alles aus!“
„Das habe ich nicht gesagt.“
„Sagt nicht, aber so tan haben 'S! Wissen 'S was? Was der König wissen darf, das kann ich auch derfahren.“
„Hm!“
„Hier gibt es gar nicht zu Hm! So einen alten, guten Freunden, wie ich Ihnen bin und auch Ihrer Frau Muttern, dem darf man schon mal ein Vertrauen schenken.“
„Gern! Mein Vertrauen besitzest du. Das weißt du ja.“
„Aber sagen tun 'S mir nix. Da dank ich halt für das Vertrauen.“
„Sepp, das Geheimnis gehört ja nicht
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