71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
drei in das nebenanliegende Schlafzimmer.
„Setzen 'S das Licht auf den Tisch“, sagte der Sepp, „und machen 'S sich was am Fenster zu schaffen!“
„Daß ich von unten gesehen werde?“
„Ja. Dann ziehen 'S den Rock aus und treten 'S in Hemdärmeln noch mal hin, damit die Kerls merken, daß Sie sich auskleiden.“
Dieser Rat wurde befolgt; dann schloß der Pfarrer die Tür zu und verlöschte das Licht.
Bis hierher waren die Vorbereitungen getroffen. Nun handelte es sich darum, ob sich dieselben bewähren würden.
Der Pfarrer sank auf das Kanapee, welches dem Bett gegenüberstand. Er seufzte:
„Mir klopft das Herz, als ob ich Fieber hätte.“
„Das meinige ist ganz ruhig“, meinte der Sepp.
„Ja, du bist aus einem ganz anderen Stoff gemacht als unsereiner!“
„Mein Stoff ist nur Haut und Knochen. Daran zittert nix vor Angst. Komm her, Fritz. Wollen am Fenster schauen, ob wir was sehen.“
Die beiden blickten hinunter in die ziemlich helle Mondscheinnacht. Sie selbst konnten, da die Fenster im Schatten lagen, nicht gesehen werden. Es verging eine Weile, welche dem Pfarrer wie eine Ewigkeit vorkam. Dann sagte Sepp:
„Du, Fritz, siehst's, da drüben am Zaun?“
„Nein.“
„Es hat sich was bewegt. Da drüben haben's steckt und das Haus beobachtet. Paß auf, nun wird es bald losgehen. Schau!“
„Ja. Jetzt sehe ich es auch!“
„Es sind zwei Punkte, die sich bewegen. Sie schleichen sich nach hinten herum. Jetzt verschwinden's hinter der Ecke. Nun können wir nach innen horchen. Wollen uns Stühle her an das Fenster setzen, damit wir nachher in aller Bequemlichkeiten zuschauen können, was drinnen in der Studierstuben vorgeht.“
Sie zogen sich zwei Stühle an das Verbindungsfenster und setzten sich darauf. Ein leises Flüstern sagte ihnen, daß der Pfarrer in seiner Herzensnot Stoßgebete sprach.
„Beten 'S noch leiser!“ bat Sepp. „Man hört es noch viel zu deutlich!“
Der Pfarrer war nun ganz still. Er zitterte am ganzen Körper vor Angst.
Nun verging fast eine volle halbe Stunde. Dann gab es draußen in der Studierstube ein Geräusch, als ob eine Tür mit größter Vorsicht geöffnet werde. Dann war wieder lange nichts zu hören.
Jetzt zuckte ein Lichtschein draußen durch die Studierstube, verschwand aber sofort wieder.
„Sie sind da“, wisperte Fritz.
„Sie werden horchen, ob der Pfarrer schläft“, antwortete der Sepp ebenso leise. „Wart, ich werd was hören lassen.“
Er holte tief, laut und regelmäßig Atem wie einer, den man schlafen hört, ohne daß er wirklich schnarcht. Er erreichte seine Absicht, denn sofort wurde draußen die Studierstube hell.
„Schaust's!“ meinte er.
„Ja!“
„Alle beid sind da.“
„Sie suchen nach der Bibel.“
Bei dem Schein der Blendlaterne, welche die Diebe mitgebracht hatten, konnte man ihre Gestalten deutlich erkennen. Sie standen miteinander am Büchergestell. Der eine griff hoch hinauf, nahm die Bibel herab und öffnete sie. Er sah das fünffach versiegelte Kuvert, nahm es mit einer Bewegung der Befriedigung heraus und steckte es ein. Dann stellte er die Bibel wieder an ihren Platz.
Wenige Augenblicke später war das Knirschen der Türe wieder zu hören.
„Jetzt sind's wieder fort!“ sagte der Sepp.
„Ist's gewiß?“ fragte der Pfarrer.
„Ja!“
„Ich glaube es kaum.“
„Warum nicht?“
„So schnell kann es nicht gehen!“
„Oh, solche Spitzbuben haben ihr Geschäft gelernt. Und nach dem großen Bibelbuch braucht man nicht monatelang zu suchen!“
„Mir hat das Herz gebebt vor Angst!“
„Mir auch. Aber vor Freude.“
„Wenn sie bemerkt hätten, daß wir sie betrogen haben!“
„Betrogen? Hm! Machen 'S sich etwa gar noch ein Gewissen daraus?“
„Nein; aber welche Gefahr! Sie hätten hier die Türe aufgesprengt!“
„Und uns gefunden! Da wären's davongelaufen wie sechs Dutzend Schneider. Komm Fritz! Sie müssen wieder da unten vorüber!“
Dieses Mal trat auch der Pfarrer wieder ans Fenster. Nach wenigen Sekunden sahen sie die beiden Gestalten, welche unten am Zaun vorsichtig hinhuschten.
„Schauen Sie die Kerls, Hochwürden?“
„Ja“, antwortete der Pfarrer, tief aufatmend.
„So ist's also vorbei.“
„Dem Herrn sei Lob und Preis!“
„Und wir gehen auch.“
„Wie? Ihr wollt mich verlassen?“
„Ja. Wir müssen fort.“
„Um Gottes willen nicht! Bleibt hier!“
„Wozu denn?“
„Ihr müßt mich weiter schützen!“
„Vor wem? Die Gefahr ist
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