71 - Der Weg zum Glück 06 - Das Gottesurteil
hinaufisteigen. Nimm dich nur in acht, daß sie nicht knarren tut. Ich werd dazu leuchten.“
Sie nahm die Taschenlaterne wieder heraus und leuchtete. Die Treppe war gut gebaut und bestand aus ganz vortrefflichem Holz. Sie knarrte nicht. Als sie aber den Vorplatz erreichten, hielt die Bäuerin erst Umschau. Da gab es über den hier befindlichen Türen Geweihe aller Art. Alte Jagdutensilien hingen an den Wänden; dabei auch eine Anzahl fester Koppelriemen für die Jagdhunde.
„Das paßt!“ flüsterte sie. „Die können wir gebrauchen.“
„Wozu?“ fragte Bastian.
„Um den Grafen zu fesseln. Paß nur recht auf, was ich mach. Da mußt allemalen gleich schnell mithelfen.“
Sie nahm die Riemen zu sich und schlich sich nun an die ihr bekannte Tür, welche zur Stube des Försters führte. Sie horchte und glaubte ein ziemlich lautes, regelmäßiges Schnarchen zu vernehmen.
„Er scheint zu schlafen“, flüsterte sie. „Ich werd mal aufimachen. Tret ich hinein, so kommst auch und riegelst die Tür hinter dir zu, damit wir nicht von außen überrascht werden.“
Sie klinkte langsam auf, langsam und vorsichtig, so daß dabei nicht das geringste Geräusch verursacht wurde. Sodann zog sie die Stubentür ein wenig auf und blickte hinein.
Der Graf lag ausgezogen in dem weiß und neu überzogenen Bett. Er hatte den Mund auf und schlief schnarchend. Der Hieb, welchen er auf den Kopf erhalten hatte, schien doch nicht ganz ohne nachteilige Folgen für ihn gewesen zu sein.
„Komm schnell!“
Bei diesen Worten schlüpfte sie lautlos hinein, und der Knecht folgte ihr, ebenso unhörbar wie sie. Dann verschloß er die Tür. Sie steckte die Laterne in die Tasche und huschte hin an das Bett, neben welchem auf dem Tisch eine Lampe brannte. Bastian folgte ihr auch dorthin.
„Das paßt, daß er den Mund aufi hat“, raunte sie ihm zu. „Da können wir ihm einen Knebel hineinstecken, ohne daß es uns eine große Mühen macht.“
„Wovon bereiten wir denselben?“
„Von seinem Schnupftuchen, welches da auf dem Stuhl liegt. Aber paß aufi! Sobald ich ihm den Knebel in den Mund schiebe, wird er aufwachen und sich bewegen. In ganz demselbigen Augenblick mußt ihm sofort ganz schnell einen Riemen um die Arme binden, so daß sie an den Leib gepreßt sind, sonst kann er sich wehren und den Knebel aus dem Mund entfernen. Dann binden wir ihm auch die Beinen zusammen, daß er sich gar nicht regen kann.“
Sie drückte das weiße Taschentuch des Offiziers fest zusammen und trat zu Häupten des Bettes. Bastian ergriff einen der Riemen und hielt denselben, an der Seite des Bettes stehend, bereit.
Jetzt schob die Bäuerin das Taschentuch dem Grafen in den Mund. Sie stopfte es mit dem Finger so tief wie möglich hinein. Natürlich erwachte der Graf, da er keinen Atem mehr durch den Mund bekam. Er fuhr vor Schreck in die sitzende Stellung empor.
Das war für den Bastian außerordentlich bequem. Im Nu hatte er ihm den Riemen um die Arme geschlungen und zog denselben so zusammen, daß die ersteren fest an den Leib gepreßt wurden. Ein zweiter Riemen vollendete das Werk.
Jetzt kam der Graf eigentlich erst zum richtigen Erwachen. Er hatte sich bisher noch halb im Schlaf und instinktiv bewegt. Er riß die Augen weit auf und sah den Bastian vor sich stehen. Die Bäuerin konnte er nicht sehen, da diese hinter ihm am Haupt des Bettes stand. Ein ungeheurer Schreck bemächtigte sich seiner. Aber er überwand denselben augenblicklich und machte eine Bewegung, aus dem Bett herauszukommen. Aber da er nur die Beine frei hatte, so war es für den Bastian leicht, dies zu verhindern. Er band ihm auch die Beine, trotzdem sich der Graf strampelnd dagegen wehrte. Der letztere sank erschöpft und fast erstickt mit dem aufgerichteten Oberkörper wieder nieder, und augenblicklich legte ihm die Bäuerin ein Kopfkissen auf das Gesicht, damit er nicht sehen könne.
„Jetzt geh wieder hinaus, und halt die Wach vor der Tür“, gebot sie dem Bastian leise. „Wann jemand aufikommen sollt, so schlüpfst gleich wieder herein und machst den Riegel wieder vor!“
Er entfernte sich gehorsam. Er wußte, daß die Bäuerin nicht gern bemerken lassen wollte, daß der Samiel eigentlich aus zwei Personen bestehe. Bei allen ihren Raubanfällen und Wildereien hatte sie es stets so eingerichtet, daß nur eins von ihnen beiden bemerkt werden konnte.
An der Wand hingen verschiedene Jagdtrophäen. Unter anderen auch ein scharfer, spitzer Nickfänger. Den nahm sie herab
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