72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen
sich eine ganze Locke abgeschnitten, sie in ein Papier gewickelt und sie ihr gegeben. Sie aber hatte dieses Papier lachend fortgeworfen, und natürlich auch die Haare mit. Oder vielleicht doch nicht?
Jetzt bewegte sie leise den Kopf. Vielleicht wollte sie ihn erheben.
„Martha“, flüsterte er ihr zu. „Kannst du mir vergeben?“
Sie schwieg auch dieses Mal.
„Bitte, bitte, antworte mir doch, wenn auch nur mit einem kleinen, einzigen Wort!“
Sie antwortete, aber nicht mit einem Wort, sondern sie legte auch noch den zweiten Arm um ihn und drückte beide nun fest um seinen Leib.
Da ergriff er ihren Kopf und hob ihn halb empor. Ihre noch immer nassen Augen blickten ihn mit unendlich traurigem Ausdruck an.
„Dir ist so weh im Herzen, meine Martha, nicht wahr?“ fragte er.
Und in überquellendem Mitgefühl füllten auch seine Augen sich mit Tränen.
Sie nickte ihm wie trostlos zu.
„Dies soll das letzte Mal sein, daß du um die Vergangenheit weinst.“
„O nein“, antwortete sie leise. „Ich werde noch oft, so oft zu weinen haben.“
„Nein. Dein Leid ist zu Ende. Du hast mehr als genug geduldet.“
„Aber nicht gebüßt.“
Er wußte gar wohl, was sie meinte, und doch fragte er, als ob er sie nicht verstehe:
„Gebüßt? Wofür?“
„Für meinen Stolz, für meine frühere Gefühllosigkeit, für – die Silbermartha. O mein Gott, dieses unglückliche, unglückliche Silber!“
„Es ist vorüber!“
„Ja, für dich, aber nicht für mich!“
„Auch für dich. Glaube es mir.“
„Ich glaube es nicht, ich kann es nicht glauben, denn ich weiß das Gegenteil.“
„Kind, das ist ja eine ganz erschreckende Trostlosigkeit!“
„Nein, Max, trostlos ist es nicht. Es ist ein Trost, daß du nicht mit in unseren Fall gerissen worden bist.“
„Martha, ich verstehe dich nicht.“
„Oh, du verstehst mich gut, willst es aber nicht zugeben. Jetzt segne ich zuweilen den Stolz, der nichts von dem Schulmeister wissen wollte. Du begreifst das; aber du gestehst es nicht, um mich nicht zu kränken.“
„So hältst du mich wohl gar für so unendlich zart und rücksichtsvoll?“
„Ja, das bist du!“
„Herrgott! Du weißt nicht, welche Strafe für mich in diesen Worten liegt. Wie rücksichtslos bin ich vorhin gegen dich gewesen!“
„Nur, weil du mich nicht verstandest.“
„Aber warum verstand ich dich nicht? Eben weil ich nicht zart war. Ich verlangte, daß du reden solltest.“
„Ich konnte nicht, konnte unmöglich.“
„Das weiß ich jetzt. Vergib es mir. Willst du, Martha?“
Sie nickte ihm zu und ihr Gesicht erhellte sich. Er bog sich herab, um sie zu küssen; sie aber wich ihm aus.
„Martha!“ sagte er vorwurfsvoll. „Ich habe doch geglaubt, daß du mich lieb hattest.“
„Ja“, erklang es mit tiefem Atemzuge. „Wie lieb, wie lieb ich dich hatte, das habe ich erst später gespürt.“
„Und hast du mich auch jetzt noch lieb?“
„Unendlich!“ flüsterte sie, indem sie über und über errötete.
„Oh, so ist ja alles, alles gut!“
Er machte abermals den Versuch, sie zu küssen, und wieder entzog sie ihm ihre Lippen.
„Martha, warum wendest du dich ab?“
„Ich muß ja doch.“
„Nein, nein!“
„Ich darf nicht, Max.“
„Warum nicht?“
„Weil ich dich nur lieben darf, aber weiter nichts. Die Liebe darf mir niemand aus dem Herzen reißen.“
„So bedarf es ja weiter nichts. Unsere Liebe ist geläutert aus der Trübsal hervorgegangen, und nun muß sie auch zu ihrem Recht gelangen.“
„Was verstehst du unter diesem Recht?“
„Daß wir uns gehören werden.“
„Niemals!“
„Warum niemals?“
„Aus vielen Gründen.“
„Willst du sie mir nicht sagen?“
„Du kennst sie ja auch.“
„Ich kenne nichts, was uns trennen könnte, nun wir uns wiedergefunden haben.“
Sie schüttelte leise, aber bestimmt den Kopf.
„Das sagst du aus reiner Herzensgüte.“
„Nein, sondern aus vollster Überzeugung.“
„So täuschest du dich, Max. Denke an die Vergangenheit zurück. Ich will den heutigen Tag als eine Gabe Gottes betrachten und noch einmal, das letzte Mal im Leben bei dir sein.“
„Martha!“ rief er erschrocken.
„Fürchte nichts!“ antwortete sie, bitter lächelnd. „Ich meine nicht das, was du denkst. Ich kann das Leben ertragen; ich werfe es nicht von mir. Aber es gehört nicht mehr mir und meinem Glück, sondern es ist dem Dienst der Demut und Arbeit gewidmet.“
„Und dabei wirst du grad am allerglücklichsten
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