72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen
Selbstbewußtsein zu lesen.
„Wer ist er?“ fragte der Fremde.
„Es ist der Kapellenbauer, bei dem die Leni als Sennerin gewest ist.“
„Hat er sich gut mit ihr verstanden?“
„Das will ich meinen. Er hat gar große Stücken auf sie gehalten und hält auch jetzt noch viel auf sie.“
„Aber sie ist doch nicht bei ihm geblieben.“
„Nicht aus Uneinigkeit, sondern weil's der König so wollt hat. Der Herr Pfarrer hat ihr auch zugeredet, und dem Bauer ist's gar nahe gangen, als er sie fortlassen mußt. Jetzund hat er dem Sohn die Wirtschaft übergeben und kommt alle Tag um die jetzige Zeit. Da sitzt er hier am Tisch bis zum Abend und schaut gern hinauf nach seiner Alm. Da oben, wo die Hütten steht, rechts der Abgrund und links der Felsengrat, auf dem damals der Krickel-Anton des Nachts hinüber ist.“
„So kennen Sie auch den?“
„Jawohl. Er war ein Unguter und gar nicht wert, daß die Leni an ihn denkt hat. Der Bauer hat's auch nicht gern sehen. Ich glaub, er hätt ihr am liebsten seinen Sohn geben. Da hätt sie ein Glück gemacht.“
Ein leises Lächeln spielte um die Lippen des Fremden, als er darauf antwortete:
„Vielleicht macht sie nun ein anderes und viel besseres Glück!“
„Ich tät ihr's von Herzen gönnen, denn sie war gar brav. Aber besser kann sie es gar nicht finden, als sie es beim Kapellenbauer troffen hat. Er ist als ein tüchtiger Sänger und Jodler bekannt und hat oft, wann der Abend kam und er hier vor dem Haus saß, ein Gesangl macht, was die Leni dann von oben herab beantworten tat. Jetzund singt er gar nicht mehr, weil es keine Antwort gibt. Da ist er. Soll ich ihn fragen?“
„Ja, fragen Sie ihn!“
Der Bauer war inzwischen näher gekommen und blickte nach einem Platz, der ihm behagen möchte. Die Magd trat ihm einige Schritte entgegen und meldete:
„Kapellenbauer, ist die Leni jetzund bei dir gewest?“
„Die Leni? Nein“, antwortete er.
„Sie soll aber hier sein.“
„Das ist nicht wahr, denn da wär ich halt gewiß der allererst, den's besuchen tät.“
„Der Herr hier hat's sagt.“
Sie zeigte auf den Fremden. Der Bauer betrachtete denselben mit einem forschenden Blick; die Beobachtung schien befriedigend auszufallen, denn er trat zu ihm heran, lüpfte den Hut ein wenig und sagte:
„Von der Leni haben 'S sprochen? Kennen Sie dieselbige denn?“
„Ja, ich kenne sie.“
„Haben 'S dieselbige vor kurzem sehen?“
„Ja.“
„Wo denn?“
„In Wien, vor vierzehn Tagen noch.“
„In Wien! Ja, da soll sie gewest sein. Sie sind wohl gar ein Bekannter von ihr?“
„Sogar ein sehr guter.“
„Wie haben 'S dieselbige denn kennenlernt? Ich hoff, daß es eine Bekanntschaft in Ehren ist!“
Sein Blick war schnell mißtrauisch geworden.
„Das versteht sich von selbst. Die Leni ist keine Person, mit welcher sich eine andere Freundschaft anknüpfen läßt.“
„Das freut mich sehr. Es liegt mir noch heut auf der Seel, daß sie von mir fort ist.“
„Ich wurde durch den Wurzelsepp mit ihr bekannt. Er ist ihr Pate und Vormund.“
„Durch den! Oh, da bin ich beruhigt. Da sind Sie ein wirklicher Freund von ihr. Und weil mich das so freut, so möcht ich mich ein bißle zu Ihnen setzen, wann's verlaubt ist.“
„Sehr gern! Kommen Sie!“
Indem sich der Bauer setzte, betrachtete er sich den Fremden nochmals genau. Er mochte zu der Ansicht kommen, daß er keinen gewöhnlichen Mann vor sich habe, denn er bemerkte mit besonderem Nachdruck:
„Sie brauchen sich nicht zu genieren. Der Kapellenbauer ist ein braver Mann.“
„O, das weiß ich ja.“
„So? Von wem denn?“
„Von der Leni selbst.“
„Hat sie von mir sprochen?“
„Sie spricht sehr gern von der Heimat und hat mir viel auch von Ihnen erzählt.“
„Das gute, liebe Dirndl! Ja, die ist keine Zuwidere. Wann's ihr nur gut geht!“
„Da brauchen Sie keine Sorge zu haben!“
„So! Schön! Wann es ihr beim Gesang nicht mehr gefallt, ich tät sie gleich wieder zu mir nehmen. Um den Lohn braucht sie nicht zu sorgen.“
„Das freut mich. Sie hat überall Freunde.“
„Das ist auch leicht zu begreifen, weil sie ein gar so liebs Dirndl ist. Schaun 'S, da oben ist meine Alm. Wann's Abend gewest ist, da hat's oben anfangt zu jodeln, und ich hab hier herunten antwortet. Alle haben lauscht auf ihre schöne Stimm. Das war eine Herrlichkeiten. Jetzund ist's anderst. Ich sing halt gar nimmer.“
Er sagte das in fast traurigem Ton und wandte sich ab. Dabei fiel sein Auge auf die beiden
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