Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen

72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen

Titel: 72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
sollen.“
    Marga wandte sich ab, um die Glut nicht merken zu lassen, welche ihre Wangen rötete. Sie fand ihr ruhiges Wesen erst wieder, als sie dann in den Garten kamen.
    Als sie die Besichtigung desselben beendet hatten und sich dem Haus wieder näherten, sahen sie einen alten Mann des Weges daherkommen. Er ging langsam, Schritt um Schritt, und stützte sich dabei auf einen langen Bergstock.
    Sein Haar war grau, ebenso der mächtige Schnurrbart. Auf dem Kopf trug er einen alten Hut, der mit verwelkten Frühlingsblumen besteckt war, und über dem Rücken hing ihm der Rucksack.
    „Sollte ich diesen Mann nicht kennen?“ fragte Anita.
    Mutter Warschauer rückte ihre Brille zurecht und sah auch nach ihm.
    „Ich kann sein Gesicht nicht erkennen“, sagte sie. „Dazu reichen meine Augen nicht mehr aus, aber wann er aufrechter und schneller gehen tat, so dächt ich, es wär der Wurzelsepp.“
    „Ach ja, das ist der richtige Name“, stimmte Anita bei. „Es ist der Wurzelsepp.“
    „Ich glaub's halt nit.“
    „Er ist's aber doch.“
    „Oh, der geht ganz anderst.“
    „Er ist verändert. Ich werde ihn rufen.“
    Der Wanderer war stehengeblieben, um auszuruhen. Er blickte nach dem Häuschen.
    „Sepp, Wurzelsepp!“ rief Anita.
    Er nickte und winkte müd mit der Hand.
    „Kommst herauf!?“ fragte sie in dem Dialekt der Gegend, den sie sich auch ein wenig angeeignet hatte.
    „Komm schon. Wart nur ein wengerl!“
    Und er kam, aber so, als ob ihm jeder Schritt die größten Anstrengungen bereite. Je näher er kam, und je deutlicher sie sein Gesicht erkennen konnten, desto mehr bemerkten sie, welche Veränderung in demselben vorgegangen war. Seine Augen lagen tief in den Höhlen; auf den faltigen Wangen glänzte es fieberhaft. Seine Brust atmete schwer und fliegend, und mit einem lauten, ächzenden Seufzer sank er auf die Holzbank, welche vor der Haustür stand.
    Er hatte gar nicht gegrüßt. Der Stock entfiel seiner Hand. Er nahm den Hut vom Kopf; auch dieser fiel aus seinen Fingern.
    „Herrgottle, Sepp, wie schaust aus!“ rief die Warschauerin erschrocken. „Ich werd gleich einen Enzianen holen.“
    Er schüttelte den Kopf.
    „Warum nicht? Bist doch krank!“
    „Wohl, wohl!“
    „Wo fehlt's dir denn?“
    „Hier und hier.“
    Er deutete nach der Brust und dem Kopf.
    „Wo kommst denn her?“
    „Von Schwanstein.“
    „Wo der König ist?“
    „Ja.“
    „Und wo willst hin?“
    „Nach Berg.“
    „Dem Schloß da unten?“
    Er nickte.
    „Was willst dort?“
    „Sterben.“
    „Bist nicht klug! Ich muß dir wirklich gleich einen Schnaps holen.“
    „Ich brauch keinen.“
    „Aber du mußt ihn nehmen!“
    „Ich trink keinen mehr. Laß mich aus damit, Warschauerin!“
    „Herrgottle, was soll man da machen!“
    Der sonst so rüstige Sepp bot ein Bild inneren und äußeren Verfalls. Anita konnte nicht anders, sie kniete bei ihm nieder, nahm seine beiden fieberheißen Hände in die ihrige und fragte ihn:
    „Sepp, lieber Sepp, kennst mich noch?“
    Er nickte. Aber sein Auge brannte so fieberhaft, daß sie glaubte, er kenne sie doch nicht.
    „Sag, wer ich bin!“ bat sie.
    „Die Anita.“
    „Ja, die bin ich. Bist sehr krank?“
    „Zum Tode“, hauchte er.
    „In der Brust wohl?“
    „Ja, und auch im Herzen.“
    „Warum denn? Was ist geschehen? Hast dich etwa erkältet?“
    „Vielleicht. Ich hab nicht drauf achtet.“
    „Aber so sag doch, was passiert ist!“
    „Was passiert ist? Die Welt geht unter! O Gott, o Gott!“
    Er hatte an sich gehalten, jetzt brach er plötzlich in ein lautes, fast brüllendes Schluchzen aus, in welches sich die Stimme eines trockenen Hustens mischte.
    „O Himmel, der Sepp weint!“ rief die Warschauerin erschrocken. „Was ist da zu tun? Was machen wir? Wann nur mein Mann daheim wär!“
    „Dort kommt er schon“, sagte Marga, nach dem Wasser deutend. „Er wird gleich anlegen.“
    „So muß ich ihn rufen!“
    Und beide Hände an den Mund legend, schrie sie ihm zu:
    „Warschauer, mach schnell, mach schnell! Es ist ein Unglück geschehen!“
    Der Alte verstand die Worte, verdoppelte die Schnelligkeit des Kahns, legte an, band ihn fest und kam dann eiligen Laufes herbei.
    „Ein Unglück?“ fragte er bereits unterwegs. „Was denn?“
    „Da schau den an!“
    Jetzt fiel sein Blick auf den Sepp.
    „Der Wurzelsepp!“ rief er erschrocken. „Mein Himmel, was ist mit dem? Sepp, Sepp, warum weinst? Was hast?“
    Er schüttelte ihn an der Achsel. Da trocknete sich der Weinende

Weitere Kostenlose Bücher