72 - Der Weg zum Glück 07 - Insel der Gefangenen
Söller hin, welcher von einer bretternen Brüstung geschützt wurde.
Die beiden Seiten des Hofs wurden von den Gebäuden der Nachbarhäuser begrenzt, während hinten sich eine hohe Mauer erhob, durch welche ein kleines Pförtchen führte.
Der Alte beobachtete schweigend, welchen Eindruck die Bilder auf den Maler machen würden. Dieser verhielt sich sehr schweigsam.
Da ertönte drin im Gewölbe Maxens Stimme. Der Jude trat hinein, und Johannes befand sich nun allein im Hof. Er schaute sich scharf um, konnte aber nichts Auffälliges bemerken. Nur ein leises, leises Geräusch vernahm er über sich. Es kam vom Söller her.
„Pst!“ machte er leise. „Ist jemand da?“
„Du scampana mi!“ antwortete es ebenso leise.
Diese italienischen Worte heißen zu deutsch: Rette mich! Johannes war dieser Sprache nicht so weit mächtig, als notwendig war, in solcher Lage ein heimliches Gespräch zu führen, bei welchem es auf das richtige Verständnis jedes einzelnen Wortes ankam. Darum fragte er:
„Redest Du auch Deutsch?“
„O ja. Ich dachte, Sie seien Italiener.“
„Ich bin ein Deutscher. Also retten soll ich Sie?“
„Ja, ja, ich bitte Sie um Gottes willen!“
„Still! Der Jude kommt!“
Der Alte kehrte zurück und brachte wieder Bilder mit. Doch sorgte der schlaue Max dafür, daß er bald wieder in das Gewölbe zurück mußte. Johannes hatte sich so gestellt, daß er grad unter der Stelle stand, an welcher von oben herab gesprochen worden war. Er fragte:
„Sind Sie noch da?“
„Ja.“
„Wer sind Sie?“
„Eine Gefangene.“
„Ach, ich werde Sie befreien. Ich gehe zur Polizei.“
„Um Gottes willen nicht. Das würde mir nichts helfen, sondern nur schaden.“
„Warum?“
„Er hat meinen Kontrakt.“
„Was für einen Kontrakt?“
„Ich habe mich ihm vermietet, zu ehrlicher Arbeit. Er aber hat böse Absichten.“
„Sapperment! Das soll er bleibenlassen!“
„Ich kann ihm aber nichts beweisen. Darum dürfen Sie nicht zur Polizei. Es muß durch List geschehen. Wenn ich nur erst aus dem Haus wäre.“
Der Alte kehrte zurück, so daß das Gespräch abermals verstummen mußte. Dies geschah noch mehrere Male; aber Max hatte sich so oft nach dem Inhalt oder dem Preis der Bücher zu erkundigen, daß Johannes Zeit fand, sich wenigstens notdürftig mit der Sprecherin zu verständigen. Er erkundigte sich:
„Sind Sie diejenige, welche vorhin von dem Alten geschlagen wurde?“
„Ja.“
„Der Schuft!“
„Er tut das sehr oft. Er will uns durch Hunger und Durst nachgiebig machen.“
„Sind noch mehrere Mädchen da?“
„Ja, noch vier.“
„Und die wollen auch frei sein?“
„Oh, die fühlen keine Schande. Sie wollen alles tun, was er will. Mit ihnen ist er gut. Nur gegen mich ist er grausam. Sie wohnen auch beisammen, während ich allein eingesperrt werde. Ach, könnte ich fort!“
„Kommen Sie herab! Ich nehme Sie mit.“
„Sogleich?“
„Ja.“
„Das geht nicht. Er würde es nicht dulden.“
„Ich fürchte mich nicht vor ihm, und ich habe einen Freund mit, welcher noch viel mutiger ist, als ich es bin.“
„Das ändert nichts. Er hat einen Kontrakt, und ich kann ihm nichts beweisen. Er würde mich durch die Polizei ergreifen lassen.“
„Hm! Eine böse Sache! So müssen Sie also heimlich fort.“
„Anders geht es nicht.“
„Aber wie?“
„Nur des Nachts ist es möglich. Könnten Sie nicht hierher in den Hof kommen?“
„Gern, wenn es zu bewerkstelligen wäre. Aber ich weiß nicht, wie ich hereinkommen soll.“
„Über die Mauer dort. Es geht ein schmales Gäßchen vorbei.“
„Aber dieselbe ist so hoch, daß ich eine Leiter brauchen würde. Das könnte auffallen, hier inmitten der Stadt.“
„Könnten Sie nicht das Pförtchen öffnen?“
„Dazu gehört ein Schlüssel.“
„Oder es aufsprengen?“
„Das macht Lärm, selbst wenn wir das dazugehörige Handwerkszeug hätten.“
„Dio mio! So gibt es keine Hilfe!“
„Verzweifeln Sie nicht! Ich werde nachdenken. Gibt es hier einen Hund?“
„Nein. Um so ein Tier zu füttern, dazu ist der Alte viel zu geizig.“
„Das ist gut. Aber wo befinden Sie sich des Nachts? Kann man zu Ihnen?“
„Ja, aber ich kann nicht hinaus. Ich bin fest angehängt.“
„Alle Teufel! Einen Menschen anhängen! Wo ist der Ort?“
„Diese Hofseite hat drei Fenster und eine Tür, welche hier vom Söller ins Innere führt. Rechts von der Tür sind zwei Fenster; da schlafen die anderen. Links ist nur eins; da befinde
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