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72 Tage in der Hoelle

72 Tage in der Hoelle

Titel: 72 Tage in der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nando Parrado , Vince Rause , Sebastian Vogel
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sah, wie er im Schatten leise vor sich hin schluchzte, begriff ich plötzlich, dass zu viel Selbstsicherheit an diesem schrecklichen Ort tödlich sein konnte. Ich schwor mir, dass ich nie so tun wollte, als hätte ich diese Berge verstanden. Ich wollte nie zum Gefangenen meiner eigenen Erwartungen werden. Und ich würde nie behaupten, ich wüsste, was als Nächstes passiert. Hier herrschten wilde, fremdartige Regeln, und ich wusste, dass ich mir nie ausmalen konnte, welche Entbehrungen, Rückschläge und Schrecken noch vor uns lagen. Ich musste mich daran gewöhnen, in ständiger Unsicherheit zu leben – Augenblick für Augenblick und Schritt für Schritt -, so als wäre ich bereits tot. Wenn ich nichts mehr zu verlieren hatte, konnte nichts mich unangenehm überraschen, nichts konnte mich davon abhalten, zu kämpfen, meine Ängste würden mich nicht davon abhalten, meinen Instinkten zu folgen, und kein Risiko war zu groß.
     
     
    Der Wind tobte die ganze Nacht, und kaum jemand konnte schlafen, doch schließlich wurde es Morgen. Einer nach dem anderen wischten wir uns den Raureif aus dem Gesicht, schlüpften mit den Füßen in unsere hart gefrorenen Schuhe und zwangen uns zum Aufstehen. Dann versammelten wir uns vor dem Flugzeug und suchten die Berge mit den Blicken nach Spuren unserer vermissten Freunde ab. Es war schönes Wetter, die Sonne hatte die Luft bereits erwärmt, und der Wind war zu einer leichten Brise abgeflaut. Obwohl recht gute Sichtverhältnisse herrschten, hatten wir auch nach mehreren Stunden noch keine Bewegung an den Abhängen ausgemacht. Am späten Vormittag stieß dann plötzlich jemand einen Schrei aus.
    »Da bewegt sich was!«, rief er. »Da, oben auf dem Bergkamm!«
    »Ich sehe es auch!«, bestätigte ein anderer.
    Ich starrte auf den Berg, und schließlich sah ich das Gleiche wie die anderen: drei schwarze Punkte im Schnee.
    »Das sind Felsen«, murmelte einer.
    »Die waren aber vorher nicht da.«
    »Das ist doch alles nur Einbildung«, seufzte jemand.
    »Seht doch mal. Die bewegen sich.«
    Ein Stück weiter unten an dem Abhang war ein Felsvorsprung. Ich benutzte ihn als Vergleichspunkt und hielt den Blick auf die Punkte gerichtet. Anfangs war ich sicher, dass sie auf einer Stelle standen, aber nach ein oder zwei Minuten zeigte sich eindeutig, dass sie dem Felsvorsprung näher gekommen waren. Es stimmte!
    »Sie sind es! Sie bewegen sich!«
    » Puta carajo! Sie leben noch!«
    Unsere Stimmung verbesserte sich schlagartig. In unserer Freude klopften wir uns auf die Schultern und schubsten uns.
    » Vamos, Gustavo! «
    »Los, Numa! Los, Daniel!«
    »Na los, ihr Scheißkerle! Ihr schafft das!«
    Zwei Stunden brauchten die drei, bis sie den Weg bergab und über den Gletscher hinter sich gebracht hatten. Die ganze Zeit feuerten wir sie an und feierten, als wären unsere Freunde von den Toten auferstanden. Aber als sie so nahe kamen, dass wir erkennen konnten, in welcher Verfassung sie waren, verflog die Freude sehr schnell. Sie waren gebeugt und mitgenommen, vor Schwäche konnten sie die Füße nicht mehr aus dem Schnee heben, und als sie auf uns zu stolperten, mussten sie sich gegenseitig stützen. Gustavo blinzelte und machte tastende Bewegungen, als wäre er blind, und alle drei waren so erschöpft und wackelig auf den Beinen, dass ich glaubte, der kleinste Windstoß werde sie umwerfen. Das Schlimmste war der Ausdruck in ihren Gesichtern. Es war, als wären sie über Nacht um zwanzig Jahre gealtert, als hätte der Berg ihnen die Jugend und alle Lebensenergie ausgetrieben, und in ihren Augen erkannte ich etwas, das früher nicht da gewesen war: eine beunruhigende Kombination aus Furcht und Resignation, wie man sie manchmal in den Gesichtern sehr alter Männer findet. Wir stürmten auf sie zu, stützten sie auf dem Weg zum Flugzeugrumpf und gaben ihnen Kissen zum Hinlegen. Roberto untersuchte sie sofort und sah, dass ihre Füße fast erfroren waren. Dann bemerkte er, dass Tränen aus Gustavos trüben Augen strömten.
    »Es war das Glitzern auf dem Schnee«, sagte Gustavo. »Die Sonne war so stark.«
    »Hast du nicht die Sonnenbrille aufgesetzt?«, fragte Roberto.
    »Die ist kaputtgegangen«, erwiderte Gustavo. »Es fühlt sich in meinen Augen an wie Sand. Ich glaube, ich bin blind.«
    Roberto träufelte Gustavo ein paar Tropfen in die Augen – er hatte sie in einem Koffer gefunden und war überzeugt, dass sie die Reizung lindern konnten – und wickelte ihm ein T-Shirt um den Kopf, um die

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