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72 Tage in der Hoelle

72 Tage in der Hoelle

Titel: 72 Tage in der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nando Parrado , Vince Rause , Sebastian Vogel
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Gleichgültigkeit. Ich mochte kaum glauben, dass endlich der Augenblick gekommen war, den ich so lange herbeigesehnt und gefürchtet hatte. Unzählige Fragen schossen mir durch den Kopf. Wie fühlt es sich an, wenn man erfriert? , fragte ich mich zum Beispiel. Ist es ein schmerzhafter oder ein leichter Tod? Geht es schnell oder langsam? Es kommt mir vor, als wäre es ein einsamer Tod. Und wie ist das, wenn man an Erschöpfung stirbt? Fällt man einfach um?Verhungern wäre entsetzlich, aber ich würde lieber verhungern als abstürzen. Bitte, lieber Gott, lass mich nicht abstürzen. Das ist meine größte Angst: dass ich mehrere hundert Meter einen steilen Abhang hinunterrutsche, in den Schnee greife in dem Wissen, dass ich auf einen Felsvorsprung zugleite und dann mehrere hundert Meter in die Tiefe stürzen werde. Wie fühlt es sich an, so tief zu fallen? Schaltet mein Geist ab, um mir das Entsetzen zu ersparen, oder bin ich bei Bewusstsein, bis ich am Boden aufschlage? Bitte, lieber Gott, bewahre mich vor einem solchen Tod.
    Plötzlich blitzte in meinem Kopf ein Bild auf. Ich sah mich von oben als bewegungslose, in den Schnee gekauerte Gestalt. Das Leben wich aus meinem Körper. Ich stand an der Schwelle zum Tod. Was würde das für ein Augenblick sein? Was würde ich als Letztes in meinem Leben sehen? Den Schnee? Den Himmel? Den Schatten eines Felsens? Das Gesicht eines Freundes? Würde ich allein sein? Wären meine Augen offen oder geschlossen, wenn die Seele den Körper verließ? Würde ich mich in Frieden mit meinem Tod abfinden wie unter der Lawine, oder würde ich wimmern und mich einen weiteren Augenblick lang an mein Leben klammern?
    Der Tod kam mir so real und nahe vor. Als ich seine Gegenwart spürte, begann ich zu zittern – ich wusste, dass ich nicht den Mut hatte, den kommenden Dingen ins Auge zu sehen.
    Ich kann das nicht. Ich will nicht sterben. Ich fasste den Entschluss, den anderen zu sagen, dass ich es mir anders überlegt hatte. Ich wollte bleiben.Vielleicht hatte Roberto Recht, und die Rettungskräfte würden uns am Ende doch noch finden …
    Aber ich wusste, dass es nicht stimmte. Wir hatten fast nichts mehr zu essen. Wie lange würde es noch dauern, bis gar nichts mehr da war und das grässliche Warten auf den nächsten Toten begann? Wen würde es als Ersten erwischen? Wie lange sollten wir warten, bevor wir ihn zerlegten? Und wie würde es dem Letzten ergehen, der lebend übrig blieb? Wieder blickte ich zu dem Berg, und ich wusste genau:Was er mir auch antun würde, nichts war so schlimm wie die Zukunft, die hier auf mich wartete. Ich sprach mit dem Berg und hoffte, dass seine Abhänge Gnade walten ließen. »Verrate mir deine Geheimnisse«, flüsterte ich. »Zeig mir, wie man dich besteigen kann.« Natürlich schwieg der Berg. Ich starrte die hoch aufragenden Gebirgskämme an und versuchte mit meinen laienhaften Blicken, den besten Weg zum Gipfel auszumachen.Wenig später brach die Nacht herein. Die Hänge verschwanden in der Dunkelheit. Ich ging in die Fairchild, legte mich ein letztes Mal zu meinen Freunden und versuchte zu schlafen.

8
     
    Das Gegenteil des Todes
     
    Wenn ich in jener Nacht überhaupt schlief, dann nie länger als ein paar unruhige Minuten hintereinander, und als in den Fenstern der Fairchild schwach das erste Morgenlicht glimmte, lag ich bereits seit Stunden wach.Von den anderen waren einige ebenfalls bereits auf, aber keiner sprach mich an, als ich aufstand und mich für den Aufbruch fertig machte. Ich hatte mich schon am Abend zuvor für die Bergtour angezogen. Unmittelbar auf der Haut trug ich ein Polohemd aus Baumwolle und eine Wollunterhose. Es war eine Damenhose, die ich in irgendeinem Koffer – vermutlich dem von Liliana – gefunden hatte, aber nach zwei Monaten im Gebirge konnte ich sie ohne Schwierigkeiten über meine knochigen Hüften ziehen. Über die Unterhose hatte ich drei Paar Jeans und über das Polohemd drei Pullover gezogen. Außerdem trug ich vier Paar Socken, die ich jetzt mit Plastik-Einkaufstüten umwickelte, um sie im Schnee trocken zu halten. Ich zwängte die Füße in meine mitgenommenen Rugbyschuhe und knotete sorgfältig die Schnürsenkel zu. Über den Kopf zog ich eine Wollmütze und darüber die weite Kapuze, die ich mir aus Susys Antilopenmantel zurechtgeschnitten hatte. Alles, was ich an diesem Morgen tat, kam einer Zeremonie gleich, einer Handlung mit weitreichenden Folgen. Mein Verstand war scharf wie ein Rasiermesser, aber die

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