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72 Tage in der Hoelle

72 Tage in der Hoelle

Titel: 72 Tage in der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nando Parrado , Vince Rause , Sebastian Vogel
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nach vorn zu verlagern, konnte sich allerdings nirgendwo festhalten, und sein Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er es nicht mehr lange in dieser Position aushalten würde. Von meinem Standpunkt aus sah ich den schwindelerregenden Abgrund unter ihm, und mir war klar, was geschehen würde, wenn Tintin stürzte. Zuerst würde er lange durch die Luft von uns weg segeln, dann würde er auf dem Hang oder einem Felsvorsprung aufschlagen, und schließlich würde er wie eine Stoffpuppe den Berg hinunterrollen, bis eine Schneewehe oder Klippe seinen zerschmetterten Körper schließlich aufhielt.
    »Durchhalten, Tintin!«, schrie ich. Roberto stand über dem Abhang an der Kante des Felsvorsprunges und streckte den Arm zu Tintin aus. Er griff um ein paar Zentimeter zu kurz. »Nimm den Rucksack ab!«, rief er. »Gib ihn mir!« Vorsichtig entledigte sich Tintin des Gepäckstücks, wobei er mühsam das Gleichgewicht hielt, während er die Gurte über die Arme streifte und sie dann an Roberto weitergab. Ohne den schweren Rucksack konnte er die Balance halten und gefahrlos hinaufklettern. Auf dem Felsabsatz angekommen, ließ er sich in den Schnee fallen. »Ich kann nicht mehr«, sagte er. »Ich bin einfach zu müde. Ich bekomme kein Bein mehr hoch.«
    Aus Tintins Stimme sprachen Erschöpfung und Angst, aber ich wusste, dass wir weiterklettern mussten, bis wir einen geschützten Platz für die Nacht gefunden hatten. Also ging ich weiter, und damit ließ ich den beiden keine andere Wahl, als mir zu folgen. Beim Aufstieg musterte ich die Abhänge in allen Richtungen, aber der Berg war so steil und felsig, dass es nirgendwo einen Platz gab, wo wir gefahrlos unseren Schlafsack ausbreiten konnten. Mittlerweile war es später Nachmittag. Die Sonne war im Westen hinter dem Bergkamm verschwunden, und lange Schatten wanderten die Steilhänge hinunter. Es wurde kälter. Ein Blick hinunter zur Absturzstelle zeigte mir, dass unsere Freunde sich bereits vor der Kälte in den Flugzeugrumpf zurückgezogen hatten. Panik stieg in mir hoch, blieb mir wie ein Kloß im Hals stecken, während ich die Hänge hektisch nach einem sicheren, ebenen Platz für die Nacht absuchte.
    Als es bereits dämmerte, stieg ich auf einen großen Felsvorsprung, um mir einen besseren Überblick zu verschaffen. Auf dem Weg dorthin stützte ich mich mit dem rechten Fuß in einer kleinen Felsspalte ab, und dann griff ich mit der rechten Hand nach einer Felsspitze, die aus dem Schnee ragte. Das Gestein wirkte solide, aber als ich mich daran hochziehen wollte, löste sich ein Stein von der Größe einer Kanonenkugel und stürzte an mir vorbei nach unten.
    »Vorsicht!Vorsicht!«, schrie ich. Unter mir konnte ich Roberto erkennen. Für eine Reaktion blieb ihm keine Zeit. Seine Augen weiteten sich, als er auf den Aufprall des Brockens wartete, und dieser schoss wenige Zentimeter an seinem Kopf vorbei. Nach kurzem, erschrockenem Schweigen starrte Roberto mich an. »Du Arschloch! Du Arschloch!«, schrie er mich an. »Willst du mich umbringen? Pass bloß auf! Was für eine Scheiße machst du denn da!« Dann schwieg er, beugte sich nach vorn, und seine Schultern bebten. Mir wurde klar, dass er weinte. Als ich sein Schluchzen hörte, spürte ich ein so stechendes Gefühl der Hilflosigkeit, dass ich es auf der Zunge schmecken konnte. Dann überfiel mich ganz plötzlich eine unbestimmte Wut. »So eine Scheiße ! So eine Scheiße !«, murmelte ich. »Ich habe die Nase voll ! Ich habe wirklich die Nase voll !« Ich wollte einfach nur, dass es vorüber war. Ich wollte mich ausruhen. Mich in den Schnee sinken lassen. Still und ruhig daliegen. An andere Gedanken kann ich mich nicht erinnern, und deshalb weiß ich auch nicht, was mich zum Weitergehen veranlasste. Nachdem Roberto sich gefasst hatte, stiegen wir jedoch im schwindenden Tageslicht weiter bergauf. Schließlich fand ich im Schnee unter einem großen Felsen eine flache Senke. Die Sonne hatte das Gestein den ganzen Tag über aufgewärmt, und die abgestrahlte Wärme hatte den Schnee in dem schmalen Hohlraum schmelzen lassen. Es war eng, und der Boden ging schräg in die Böschung über, aber er würde uns vor der nächtlichen Kälte und dem Wind abschirmen. Wir legten die Sitzkissen als Kälteschutz auf den Boden der Vertiefung und breiteten darüber den Schlafsack aus. Von dem Schlafsack und der von ihm zurückgehaltenen Körperwärme hing unser Leben ab, aber er war ein empfindlicher, grob mit Kupferdraht zusammengenähter

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