73 - Der Dukatenhof
mich denn auch wo anders sehen?“ fragte er.
Er kam sich wie ein Fremder vor, und es war ihm, als sei alles Leid und alles Bittere plötzlich in ihm heil geworden. Sie antwortete:
„Wenn du's gern tust und es dir nicht Schaden bringt!“
„Schaden? Mir nicht, aber dir! Schau, hier steht das Kreuz. Mein Oheim hat den deinigen von der Kanzel herabgestürzt, sagen die Leute, und die Haubolde sind alle miteinander dem Satan verfallen. Magst du mich dennoch sehen, Kathrine?“
„Ja, Gustav!“
„Und nicht bloß sehen, sondern noch was anderes!“ bat er, indem er sich zu ihr niederbog und den Arm um sie zu legen versuchte.
„Was denn?“ fragte sie, sich gegen die Umarmung sträubend.
„Auch lieb haben!“ sagte er, sie an sich ziehend.
„Nein, das ist gleich zu viel!“ antwortete sie, sich von ihm befreiend, und als er sie noch immer festzuhalten strebte, war sie mit einem: „Leb' wohl, Gustav!“ hinter dem Felsenstück verschwunden.
Er folgte ihr nicht, sondern blieb zurück.
Lange Zeit stand er bewegungslos da, den Blick auf die Stelle geheftet, die ihren Fuß getragen hatte; er wurde sich seines Gedankengangs kaum bewußt, bis er endlich wie aus einem Traum erwachte und dabei die Bleistiftworte bemerkte, deren Sinn ihm schneidend durch die so glücklich bewegte Seele fuhr.
„Nein, solche Tücke läßt sich fast gar nicht denken! Aber darum soll es auch aus sein mit dem Kreuz!“
Er faßte an dem Querbalken, ein kurzes Rütteln, dem ein kraftvoller Stoß folgte, und das morsche Holz war hart am Boden abgebrochen. Dann hob er es auf und schlug es an den Felsen, daß die abgeschmetterten Stücke weit umherflogen.
„So! Gegen die Inschrift konnten wir nichts tun; aber wenn man nun gar noch unseren Namen darauf kritzelt, so dürfen wir uns wehren. Und wie das Kreuz zunichte ist, so soll auch der böse Leumund weichen müssen, ob im guten oder durch Gewalt, das mag die Zukunft lehren. Ich habe dieses armselige Leben satt und werde den Leuten zeigen, daß ich mich nicht zu schämen brauche und gar wohl auch ein Recht besitze zu dem, was andere tun und treiben!“
Er ging.
Der Bach murmelte seine melancholische Weise; aus den Zweigen der Tannen und Fichten tönte ein monotones Rauschen in den Grund herab; die Dämmerung begann sich niederzusenken, und über den Himmelsstreifen, welchen die Schlucht erkennen ließ, zogen vom Abendrot bronzierte Wolkenschichten.
„Es ist doch gut gemeint und wunderbar eingerichtet vom lieben Gott, daß die Farbe, welche für uns das Abendrot bedeutet, für fernere Orte zur Morgenröte wird!“ flüsterte er vor sich hin.
„Ob es wohl wahr ist, daß das Unglück eines Menschen sich stets allemal für den anderen in Glück umwandelt? Dann könnte man sich wenigstens trösten. Aber ich habe noch nicht gesehen, daß der Haß, der uns verfolgt, irgendwem Heil und Segen gebracht hat. Es bleibt dabei; ich stemme mich dagegen und zahle von jetzt an alles mit gleicher Münze zurück. Die Kathrine soll sehen, daß ich mich nimmer fürchte!“
Man hatte mit dem Abendbrot auf ihn gewartet.
Trotz seiner Jugend vertrat er in allem die Stelle des Hauswirts, welcher letztere nur in höchst dringlichen Fällen einmal die Ruine verließ, um die Wohn- oder Wirtschaftsräume zu betreten. Marie, welche seit einer langen Reihe von Jahren die Wirtschaft führte, genoß die Achtung, welche man sonst nur der Hausfrau zu zollen gewohnt ist. So schwer es einem Dienstboten ankam, als Ingesinde auf den Teufelshof zu ziehen, war er einmal da und hatte das allgemeine Vorurteil überwunden, so sehnte er sich gewiß nicht wieder zu einer anderen Herrschaft, und so hatten sich denn, obgleich von einem eigentlichen Familienleben nicht die Rede sein konnte, zwischen den Bewohnern des Tannenhofs ein Verhältnis herausgebildet, welches in Beziehung auf gegenseitige Anhänglichkeit und Liebe nichts zu wünschen übrig ließ.
Besonders war es Marie, deren stilles, geräuschloses und aufmerksames Walten wohltuend auf den Kreis der Hausgenossen wirkte. Eine Mutter hätte nicht besser für die Ihren sorgen können, als sie es tat. Gustav galt ihr fast mehr als Sohn, und wenn sich gar die Rede auf Haubold lenkte, so glänzten ihre Augen in sichtbarem Feuer, und über ihre zerrissenen Züge breitete sich eine Verklärung, die nur dem tiefsten Innern entstammen konnte.
Als nach Tisch der junge Tannenbauer aus seiner Stube in welche er sich begeben hatte, wieder herabkam, blickte sie ihn erstaunt an. Er
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