74 - Mein Leben und Streben
einen ganz bedeutenden Prozentsatz von ihnen. Das bemerkte ich schon bald, nachdem ich bei ihm eingetreten war. Auch Walter, sein Hauptfaktotum, von dem er alles tun ließ, was niemand wissen durfte, war vorbestraft. Gleich nach meiner Übernahme der Redaktion brachte er mir einen Wiener Postbeamten, der sich an der Kasse vergriffen hatte, als Mitarbeiter. Als sich ähnliche Fälle wiederholten und ich ihn nach seinen Gründen fragte, antwortete er:
„Mit einem Schriftsteller, der bestraft worden ist, kann man machen, was man will, denn er fürchtet, daß seine Vorstrafen verraten werden.“
„Also auch ich?“ rief ich aus, erstaunt über diese Aufrichtigkeit.
„Unsinn!“ entgegnete er. „Mit Ihnen ist das etwas ganz anderes. Wir sind Freunde! Und Sie sind doch kein gewöhnlicher Mensch, der mit sich machen läßt, was man will! Selbst wenn ich Sie nicht aufrichtig lieb hätte, bei Ihnen zöge man den kürzeren!“
Er gab sich Mühe, das in mir erwachte Mißtrauen zu beseitigen, aber es wollte doch nicht ganz verschwinden und trug auch mit dazu bei, daß ich kündigte und wegen des Heiratsangebotes die Redaktion aufgab. Auch später, als ich nach sechs Jahren das ‚Waldröschen‘ für ihn zu schreiben begann, tauchte dieses Bedenken gegen ihn wieder in mir auf. Aber die Ausnahmestellung, die er mir persönlich und geschäftlich bei sich einräumte, das Ausnahmehonorar, welches er mir zahlte, und vor allen Dingen die Einwürfe, die mir meine Frau bei jeder Gelegenheit gegen mein Mißtrauen machte, das alles wirkte dahin, daß ich schließlich zu meinem früheren Vertrauen zurückkehrte.
Daß ich von meinen Münchmeyerschen Romanen keine Korrekturen zu lesen und also auch meine Manuskripte nicht mehr zurückbekam, habe ich bereits erwähnt. Ich konnte also nicht kontrollieren, ob der Druck mit meinem Originalmanuskript übereinstimmte. Doch war mir hier so bestimmt Ehrlichkeit versprochen worden, daß ich einen Betrug für ausgeschlossen hielt. Auch daß Münchmeyer später einmal behaupten könne, meine Romane mit allen Rechten nicht bloß bis zum zwanzigtausendsten Abonnenten, sondern für immer erworben zu haben, erschien mir als unmöglich, denn erstens hatte ich mir alle seine Briefe aufgehoben, in denen er alles, was wir schriftlich miteinander ausgemacht hatten, nach und nach wiederholte, und zweitens hatte ich auch noch einen andern vollgültigen Beweis in der Hand, daß er diese Rechte nicht für immer besaß. Er hatte nämlich den schriftlichen Versuch gemacht, diese Rechte noch nachträglich zu erwerben. Er hatte das durch einen Revers getan, den er mir durch jenes vorbestrafte Faktotum Walter schickte und zur Unterschrift vorlegen ließ. Ich wies aber diesen außerordentlich pfiffigen Boten mit seinem Revers zurück. Dieser Walter war es auch, durch den ich auf meine Anfragen immer die schriftliche oder mündliche Versicherung bekam, daß die Zwanzigtausend noch nicht erreicht sei. Übrigens hatte ich nicht die geringste Sorge, weder um meine Rechte noch um meine ‚feinen Gratifikationen‘. Meine Rechte waren mir sicher, und Münchmeyers standen sich jetzt in pekuniärer Beziehung so, daß sie, wie ich glaubte, mehr als bloß zahlungsfähig waren. Daß er mit schlechtgehenden Romanen wieder verlor, was er an gutgehenden verdiente, und daß er sich auf Wechselreitereien eingelassen hatte, durch welche seine Kapitalkraft arg geschädigt wurde, davon wußte ich nichts. Ich war also überzeugt, ruhig warten zu können und gar keine Veranlassung zu haben, verfrühte und darum beleidigende Forderungen zu stellen. Übrigens war meine Frau so vollständig gegen alles geschäftliche Drängen und Treiben, daß ich nun auch um den äußeren häuslichen Frieden besorgt sein mußte, falls ich gegen Münchmeyer nicht so nachsichtig war, wie sie wünschte. Auch behaupten die Kolportageverleger, daß es in ihrer Buchführung viel schwieriger sei und viel längere Zeit erfordere, als bei andern Verlegern, nachzuweisen, wieviel feste Abonnenten man habe. Es springen beständig welche ab, und es kommen beständig welche hinzu, darum hatte ich Geduld.
Im Jahre 1891 lernte ich meinen jetzigen Verleger F.E. Fehsenfeld, Freiburg, Breisgau, kennen. Ich übergab ihm den Buchverlag der bei Pustet in Regensburg erschienenen Werke und vereinbarte mit ihm, nach diesen dann auch die Münchmeyerschen herauszugeben. Er nahm die ersten sofort in Angriff, und sie gingen ausgezeichnet. Wir waren beide überzeugt, daß wir mit
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