760 Minuten Angst
Natürlich lag Rocko weiterhin so da, wie er ihn ermordet hatte. Schweren Herzens ging er auf ihn zu und kniete sich noch einmal zu ihm hinab. Auch ihm streichelte er ein letztes Mal durchs Fell.
»Vergib mir, Rocko. Bitte … wenn du es kannst … vergib mir. Ich … ich war ein böses Herrchen.«
Fast hätten sich neue Tränen gebildet, doch diesmal ließ Rick sie nicht zu. Die Zeit der Trauer war vergangen. Nun war die Zeit des Handelns angebrochen. Deswegen stand er auf, diesmal mit der blutigen Axt in der rechten Hand. Dann war es an der Zeit, sich ein wenig abseits von seinem Hund auf den Boden zu knien. Die Axt blieb dabei fest in seiner Hand, als wäre sie das Letzte, was ihm noch Kraft gab.
Als wäre er gar nicht anwesend, legte Rick seine linke Hand auf den Boden. Er sah starr auf sie hinab, ehe er die schwere Axt zum dritten Mal am heutigen Abend zur Decke erhob. Doch diesmal würde er ruhigen Gewissens zuschlagen.
Dann war es soweit.
Erneut drang ein markerschütternder Schrei aus den Tiefen hervor und verbreitete sich in dem Raum des leerstehenden Hauses. Es würde noch eine Weile dauern, bis er vollends verebbte.
Mit zittrigem Körper sah Rick weiter an sich hinab, sah seine Hand auf dem Holzboden liegen, doch sein Arm hängte nicht mehr daran. Dafür steckte die Axt daneben im Holz. Alles war genauso verlaufen, wie Rick es wollte. Doch dass es so schmerzen würde, dass so viel Blut fließen würde, hätte er niemals gedacht. Erst jetzt, als der Schockzustand einsetzte, schien auch die Blutung zu stoppen.
Rick zitterte am ganzen Leib. Er starrte wie ein Besessener auf seinen Stumpf und brüllte sich die Seele aus dem Leib. Das würde er noch immer, wenn da nicht der kurze Schmerz an seinem Hals gewesen wäre, der ihn sanft in die Dunkelheit übertreten ließ. In die ersehnte Ruhe. Endlich.
Sie war unfähig, es zu begreifen.
Auch wenn die Worte aus dem Mund ihres Vaters kamen, obwohl es die reine Wahrheit war, konnte Valentina nicht verstehen, was er ihr gerade offenbart hatte. Das konnte unmöglich sein. Niemals hätte ihr Vater … ihre Mutter … nein … sowas würde er niemals …
»Es … es tut mir so leid, Valentina.«
Doch es spielte keine Rolle, wie oft ihr Vater sich entschuldigte. Valentina würde ihm niemals verzeihen. Es sei denn, er hatte gelogen. Vielleicht war es nur ein Bestandteil von »Cs« bizarrer Schnitzeljagd. Nicht mehr … nicht weniger.
»Er … er hat dich dazu gezwungen, nicht wahr, Papa? »C«. Er wollte, dass du mir das erzählst, damit ich dich erschieße, nicht wahr?«
»WAS?!«, jetzt war es ihr Vater, der die Situation nicht mehr verstand. »Dann steht also das auf dieser Postkarte? Du sollst mich … mich erschießen?!«
Pure Angst stand ihrem Vater ins Gesicht geschrieben und Valentina wusste nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Ihr wurde der Alptraum zu viel. Viel zu viel. Ihr blieb nur noch ein Gedanke … ein Wunsch. Sie musste es einfach wissen!
»Sag es mir, Papa. Bitte sag mir die Wahrheit. Hast du Mama wirklich betrogen?«
Nun weinten sie gemeinsam. Ihr Vater setzte zu einer Antwort an, die ihm sichtlich schwerfiel. Doch er musste es ihr gestehen, nicht nur, weil »C« es forderte. Auch wenn sein Leben davon abhing, es nicht zu tun.
»Ja, Valentina. Ja … ich habe deine Mutter betrogen. Ich hab wirklich eine Affäre.«
Drei Sätze. Wie konnten sie nur drei Sätze so sehr verletzen? Wie konnte ihre Welt dadurch in ihren Grundfesten erschüttert werden? Wie war all das möglich? Warum passierte das ausgerechnet ihr?
»Warum … Papa …?«
»Oh, Valentina … bitte … du musst verstehen …«
» Ich muss verstehen?!« Sie unterbrach ihren Vater lautstark.
Was vorher noch Trauer und Verzweiflung war, hatte sich nun in blanke Wut verwandelt.
»Wie bitte?! Du hast eine Affäre und ich soll verstehen?!«
»Bitte, Valentina, so versteh doch …«
»Wie lange, Papa. Wie lange schon?«
Ihr Vater sah beschämt zur Seite. Seinen Kopf konnte er schließlich noch bewegen.
»Seit sieben Jahren.«
»Seit sieben Jahren!«, wiederholte Valentina brüllend.
Das konnte doch nur ein schlechter Witz sein. Das konnte doch nicht wahr sein!
»Ich fasse es nicht …«
»Valentina … wir haben uns eben auseinandergelebt. Es ist ja nicht so, als würde ich Petra nicht mehr lieben …«
»Ach, so ist das«, unterbrach sie abermals ihren Vater. »Dann nennst du das auch noch Liebe, was du uns die ganzen Jahre über vorgelogen hast?!«
»So
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