77 Tage
schmatzend auf das davonkullernde Gemüse.
Währenddessen hatte der dicke Wirt Danners Aggression freundlicherweise von mir abgelenkt.
»Ich kenne aber keine Anwälte, die mir noch was schuldig sind und mir deshalb vertrauliche Klientendaten verraten würden«, pfiff Danner jetzt Molle an. »Und einen Kommissar besoffen zu machen oder die Polizeichefin mit Nacktfotos zu erpressen, um Akteneinsicht zu bekommen, nutzt nix, weil bei den normalen Sterbefällen gar nicht ermittelt wird. Wie also sollen wir in über vierzig Fällen herausfinden, wer was geerbt hat?«
»Wir fragen die Hinterbliebenen«, schlug ich vor.
»Dann viel Spaß«, wünschte er. »Zum Glück hab ich heute Abend ein Date.«
Während Danner badete, sich rasierte, eindieselte, seine Glatze polierte, die Fingernägel feilte, die Nase puderte und sich womöglich noch Beine und Achseln enthaarte – oder was auch immer ein Hetero-Schnüffler so anstellte, um sich auf ein Date mit einem Schwulen vorzubereiten –, saß ich am Telefon.
Noch einmal betrachtete ich die Liste mit den Namen der in den letzten vier Jahren Verstorbenen, ohne irgendeine Auffälligkeit zu finden.
Vor vier Jahren, im Jahr von Elsbeth van Pels’ erster Qualitätsprüfung, waren folgende Personen verstorben:
Almuth Wiedental
Sabine Hinrichs
Sergej Muchow
Frieda Wellinghaus
Barnabas Merianakis
Greta Hiller
Heinrich Herbst
Willi Frechelt
Orkan Ötztürk
Im zweiten Jahr der Qualitätskontrolle:
Margarethe Möller-Frieling
Georg Donatus Frh. von Piwittsbocklen
Bert van Herderen
Kataczyna Weißmüller
Alfons Trochte
Molly Maschmeyer
Soraya Kaymaz
Kemal Yilmaz
Horst Haberer
Iris Wucherpfennig
Im dritten Jahr:
Klaus Fricke
Franz Segelhorst
Isolde Lieblich
Maren Sell
Sigrid Knethaken
Ilona Meyerding
Friedbert Geiger
Gustav Schröder
Prof. Elisabeth Seefeld-Friedrichs
Knut Briese
Und im vierten Jahr:
Dr. Waldemar Traitel
Simone Messerschmidt
Egon Huber
Adam Adamczik
Marlene Eichmann
Heidrun von Kessel
Friderike Westermann
Theodor Breier
Hans-Werner Kuhn
Ferdinand Hoppe
Neununddreißig nichtssagende Namen.
Und auf der Liste über die vergangenen ersten beiden Monate dieses Jahres standen schon vier Todesfälle:
Karla Koch
Martin Kohlkessel
Bodo Buchholz
Mareike Brandstetter
Es verstarben ungefähr zehn Patienten im Jahr, so viel verriet die Liste immerhin. Wenn das zwanzig Prozent über dem Durchschnitt vergleichbarer Zweigstellen lag, verstarben also im Raum Bochum zwei Patienten pro Jahr mehr als woanders.
Zwei.
War das wirklich bemerkenswert?
Man konnte den Menschen das Sterben schließlich schlecht verbieten. Nach dem Motto: Moment mal – in diesem Jahr sind genug abgenippelt, der Rest muss durchhalten, sonst versaut ihr den Schnitt?
Andererseits …
Wenn es kein Zufall war …
Dann gab es hier pro Jahr zwei Todesfälle mehr. In vier Jahren machte das acht Menschen.
Ich musste schlucken, als mir bewusst wurde, was das bedeutete. Acht Menschen. Au weia.
Wenn die Sache wirklich ein Fall war, dann möglicherweise der größte, mit dem wir es je zu tun hatten. Aber bisher gab es keinen einzigen Anhaltspunkt dafür, nicht mal eine Auffälligkeit.
Auch die zwei Stunden, die ich schon dauertelefoniert hatte, brachten mich nicht voran.
Elsbeth van Pels hatte mir die Namen und Adressen der Menschen ausgedruckt, die gewöhnlich die Rechnungen der Verstorbenen bezahlt oder sich als Ansprechpartner angeben lassen hatten. Im qualitätsgeprüften Ablagesystem der Pflegedienstchefin ging so etwas selbstverständlich auch nach Jahren nicht verloren. Auf dieser Liste notierte ich mir die Ergebnisse meiner Ermittlungen.
Ich wählte die nächste Telefonnummer. Denn selbstverständlich hatte Elsbeth van Pels auch die meisten Rufnummern in ihren Dateien gebunkert. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie sie aktenweise persönliche Daten hortete. Eine Unart, die sich anscheinend überall durchsetzte. Früher Aufgabe der Stasi, bespitzelte heute jeder fröhlich jeden. Ein Volkssport, der bei meiner Arbeit als Privatdetektivin durchaus hilfreich war, trotzdem aber dafür sorgte, dass sich mir die Nackenhaare sträubten. Auch mein Name war festgehalten worden, in der Datei des Meldeamtes. Ich war nicht mehr unsichtbar.
»Ochsenkopf«, meldete sich eine tiefe, männliche Stimme am Telefon. Ich schob meine Gedanken zur Seite.
»Simanowski, schönen guten Tag«, begann ich in liebenswürdig-geschäftsmäßigem Tonfall meinen Text abzuspulen. Meine
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