77 Tage
war.
»Dann rück mal meine Kröten rüber, Schätzchen«, lachte die schöne Türkin Gülcan und schlüpfte in ihre Turnschuhe.
Janine drückte Gülcan einen Zwanzigeuroschein in die Hand.
Offensichtlich sah man mir meine Verwirrung an.
»Ich hab gewettet, Hedi vergrault dich am ersten Tag«, erklärte mir Janine mit gerümpfter Nase.
»Echt?« Ich sah verwundert an mir hinunter. »Seh ich denn aus wie ein Weichei? Eine Handtaschenträgerin? Eine FDP-Wählerin?«
»Quatsch.« Gülcan hob lachend einen Daumen. »Ich hab gleich gesagt, dass du dich nicht von ihr kleinkriegen lässt.«
Janine knöpfte knurrend ihre Kittelbluse über ihrem pinkfarbenen Shirt zu – allerdings nur die unteren drei Knöpfe, sodass die weiße Aufschrift auf ihrem Busen gut lesbar blieb.
Blog it!, stand da.
Hinter mir ging die Tür auf. Die kleine, rundliche Agi Friedlich kam herein, und weil dieser Raum wie alle anderen hier im Keller zu klein für mehr als drei Menschen war, schob ich mich zwischen Janine und Gülcan hindurch zu meinem Spind ganz am Ende der Reihe.
»Wollt ihr mal lachen, Leute?«, prustete Agi los, kaum dass sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Sie hatte ihre grauen Locken im Kopfbereich oberhalb der Ohren wieder mit einer Menge Haarklammern gebändigt, unterhalb der Ohren kräuselten sie sich lustig um ihr Gesicht. Ihre Pausbacken leuchteten rot und in ihren fröhlichen Augen standen Tränen vor Lachen.
»Was ist?«, wollte Gülcan wissen.
Janine giggelte, obwohl sie ja noch gar nicht wusste, was Agi sagen wollte. Und ich stellte fest, dass auch ich bei Agis Anblick unwillkürlich zu grinsen begonnen hatte. Ihr Lachen war ansteckend.
Dafür, dass es noch nicht einmal sechs Uhr in der Früh war, war die Stimmung in der Umkleide auffallend gut.
»Das hier«, Agi wischte sich die Augen, »habe ich an meinem Diensthandy gefunden.«
Sie hielt uns einen violetten, selbsthaftenden Notizzettel entgegen. Janine Hinze warf einen Blick auf das Klebchen und kicherte schrill: »Wie süß!«
Gülcan und ich drängelten uns an der Blondine vorbei, um die Worte ebenfalls lesen zu können.
Lieber Ben, stand da, heute Abend singe ich ab 20.00 Uhr im ›Fredo’s‹ im Bermuda3Eck. Ich lade dich herzlich ein, dabei zu sein. Dein Ingo
Dein Ingo? Hätte mir Danner vielleicht irgendwas erzählen sollen?
»Meint ihr etwa, der Neue ist auch schwul?«, begriff Gülcan bemerkenswert spät.
»Hallo?«, krähte Janine. »Hast du den engen Pulli gestern nicht gesehen? Oder mal an dem gerochen? Der hat sogar gepflegte Fingernägel, der Typ.«
Ja, seit gestern Vormittag, um genau zu sein.
»Hallo?«, äffte Gülcan Janines Tonfall nach. »Woher soll ich mich da auskennen? So lange bin ich noch nicht deutsch und schwule Türken gibt’s nicht so viele.«
Ich wunderte mich. Gülcan sprach akzentfrei, besser als Janine, bei der der Slang ab und zu das Hochdeutsch zu verdrängen drohte. Kein Kopftuch und kein Rock, ich war davon ausgegangen, dass Gülcan in Deutschland geboren worden war.
»Unser lieber Ben ist jedenfalls schwul wie die Nacht«, tönte Janine. »Ich wette, er geht heute Abend mit Ingo aus. Hältst du wieder dagegen?«
Sie sah Gülcan herausfordernd an, doch die war sich diesmal offenbar nicht sicher.
»Schön wär’s doch für unseren Ingo«, fand Agi.
»Klar, der Neue ist ’ne Sahneschnitte«, trötete Janine. »Die sind doch immer schwul.«
Ich kratzte mich am Kopf. Danner war ein unrasierter Schnüffler mit einer Vorliebe für Frauen und Bier. Wahrscheinlich nicht bindungsfähig und definitiv nicht schwul.
Außerdem war er bereits seit einem halben Jahr mit mir zusammen – weswegen man die Bindungsunfähigkeit allmählich mal überdenken konnte. Aber selbstverständlich würde er heute Abend mit Ingo Kuchenbecker ausgehen.
»Eigentlich sollten wir auch hingehen«, kicherte Agi. »Nur um zu sehen, ob es was wird.«
Gülcan und Janine prusteten los.
»Was ist? Kommt eine von euch mit?«
Frisch rasiert, durchtrainiert und duftend wartete Danner bereits vor der Tür der Damenumkleide auf Agi, als wir alle gut gelaunt herauskamen.
»Wat ein Jammer«, seufzte Janine.
Der Frühdienst mit Janine Hinze verging wie im Flug.
Was einerseits daran lag, dass sie ihren Pflegekoffer selbst schleppte; und andererseits an ihrem Arbeitstempo. Die unerschütterliche Geduld einer Hedi Sundermann besaß die Blondine nicht.
Da bekamen die Patienten eben alle Jogginganzüge an, weil die sich am
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