77 Tage
Geschichte hatte ich in den letzten zwei Stunden so oft wiederholt und ausgefeilt, dass sie garantiert die gewünschte Wirkung erzielte. »Ich bin Mitarbeiterin der Wohnungsbaugesellschaft Bochum. Wenn ich das meinen Unterlagen richtig entnehme, waren Sie seinerzeit Ansprechpartner für unsere vor zwei Jahren verstorbene Mieterin Sigrid Knethaken?«
»Meine Schwiegermutter, ja.«
Dann war seine Frau also eine Ochsenkopf, geborene Knethaken? Dumm gelaufen.
»Wissen Sie«, holte ich aus, »wir haben erst jetzt bemerkt, dass Ihre Schweigermutter offenbar noch einen zweiten Kellerraum genutzt hat. Dem Hausmeister ist die Unstimmigkeit kürzlich aufgefallen. Wir gehen davon aus, dass die eingelagerten Antiquitäten Ihrer Schwiegermutter gehörten.« Ich ließ das Wort ›Antiquitäten‹ einen Moment lang wirken. »Beziehungsweise jetzt den Erben. Darf ich der Einfachheit halber mal ganz direkt nachfragen, wer damals erbberechtigt gewesen ist?«
»Natürlich.«
Siehste.
»Meine Frau war die einzige Erbin, sonst gab es niemanden. Ich kann Ihnen die Unterlagen gern vorlegen.«
»Oh, das wird nicht nötig sein. Wir melden uns wieder bei Ihnen wegen der Kellerräumung.«
Ich legte auf und kritzelte auf die Verstorbenenliste hinter den Namen von Sigrid Knethaken: Tochter, Ochsenkopf.
Bei den meisten waren die Kinder oder der noch lebende Ehepartner erbberechtigt. Einmal hatte es Streit zwischen einer jungen Witwe und den Kindern aus erster Ehe gegeben. Das Gerichtsverfahren lief noch. Einmal hatte eine Umweltschutzorganisation geerbt. Nur ein einziger Name war bisher zwei Mal aufgetaucht: ein Hospiz.
Besonders verdächtig schien mir das nicht. Aber es gab ja noch fünfzehn weitere Namen, die ich abtelefonieren musste.
Danner verließ endlich das Bad, begleitet von einer duftenden Aftershave-Wolke. Er warf einen kurzen Blick auf meine halb abgearbeitete Liste.
»Das ist echtes Detektivhandwerk, Partner.« Er wuschelte durch meine blonden Haarstoppeln.
»Kann mir nichts Schöneres vorstellen, als stundenlang immer den gleichen Text aufzusagen«, knirschte ich. »Wenn ich mich eindieseln sollte wie für einen Puffbesuch und bei einem Prosecco unseren Freund Kuchenbecker singen hören müsste, würde ich bestimmt kündigen.«
»Ich mach doch gern die Drecksarbeit für dich.« Danner zog sich eine Wollmütze über die frisch polierte Glatze. »Und keine Angst, ich zerr ihn nicht gleich am ersten Abend in die Kiste.«
Blödmann.
Der glaubte doch nicht wirklich, dass ich mit dem Gefühl, die Arschkarte gezogen zu haben, am Schreibtisch sitzen blieb, während er mit Kuchenbecker Likörchen schlürfte?
Kaum war die Wohnungstür hinter Danner zugefallen, sprang ich auf und schlüpfte in meine Turnschuhe.
Beim Bermuda3Eck handelte es sich natürlich nicht um das mysteriöse Seegebiet im Atlantik, sondern um die mindestens ebenso berüchtigte Bochumer Partymeile. Im Stadtgebiet zwischen Konfrad-Adenauer-Platz und Südring drängelten sich Restaurants, Kneipen und Diskos wie die Schiffswracks im geografischen Vorbild. Fredo’s – täglich Varieté, Akrobatik und Kunst stand in roter Schreibschrift mit Beleuchtung über dem sonst schlichten Eingang des Klubs, in dem Ingo Kuchenbecker auftrat.
Als ich kurz nach acht hineinkam, war die Beleuchtung schon gedimmt. Die Gäste an den im Raum verteilten, elegant eingedeckten Tischen trugen glitzernde Kleider und dunkle Jacketts und nippten am Rotwein. Auf der Bühne hauchte eine hochgewachsene, rothaarige Schönheit in einer silbernen Paillettenbluse und einer gerade geschnittenen, überweiten Marlene-Dietrich-Hose mit rauchiger Stimme französische Chansons ins Mikro.
Agi Friedlich entdeckte ich sofort. In einer mit großen Blumen bedruckten Bluse und mit altmodischen Goldohrringen behängt, stach sie aus der Menge. In dem eleganten Publikum wirkte die Altenpflegerin wie eine Oma auf einer dieser Kaffeefahrten, bei denen gutgläubigen, älteren Leuten überteuerte Matratzen aus tibetanischem Yakfell angedreht wurden.
Neben ihr saß Hedi in einer grauen Häkeljacke, die Agis Outfit an fehlendem Geschmack sogar übertraf. Außerdem hatte Agi die bärtige Mona Rudzinski und die junge Piroschka Weber zum Mitkommen überreden können. Piroschka wohl eher aus Neugier, während die kräftige Mona im Publikum womöglich gleichgesinnte Damen zu treffen hoffte, die ihre Freizeit wie sie selbst gern mit Hanteltraining und Baumstammwerfen verbrachten.
»Lilliana!«, Agi winkte mir
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