77 Tage
unerwartet außerhalb des Dienstes trifft. Ohne weiße Bluse und so. Was kann ich für dich tun? Komm doch rein, Kind.«
Mit Sicherheitsabstand duckte ich mich an dem übergewichtigen Löwen vorbei, der auf einem für seine Ausmaße relativ schmalen Regalbrett hockte. Das Brett war direkt neben der Wohnungstür über einer Kommode an die Wand geschraubt und wohl wirklich als Katzenplatz gedacht. Der gelbe Perser hob drohend eine Vorderpfote, als ich nicht weiterging. Ich beeilte mich, aus seiner Reichweite zu kommen, der dicke Stubentiger sah verächtlich auf mich herunter.
»Ja, ja, der Franzl hält sich für einen Wachhund«, kicherte Agi Friedlich.
Da war mir Molles kleine Hündin Mücke lieber. Die kündigte wenigstens mit einem Knurren an, dass sie demnächst zu beißen gedachte.
Mit einem lauten Plumpsen landete der fette Franz hinter mir auf dem Teppich. So viel zum Thema Samtpfote.
Im Wohnzimmer scheuchte Agi einen kleineren, aber nicht weniger übergewichtigen Fellträger vom Sofa und bot mir den frei gewordenen Platz an. »Setz dich, Liebes.«
Ich ließ mich auf einer Schicht aus Katzenhaaren nieder, unter der das rosa Blümchenmuster der Polster kaum noch zu erkennen war. Als ich mich umsah, entdeckte ich eine weitere graue Mieze zwischen zwei Blumentöpfen auf der Fensterbank. Ein schneeweißes Exemplar lag zusammengerollt auf einem Sessel, ich hatte das Tier erst für ein Kissen gehalten. Und eine bunt gescheckte blinzelte zwischen den Büchern im Regal auf uns herunter. Definitiv hatte Agi Friedlich einen Katzenfimmel. Der war für mich allerdings nur interessant, wenn sie wegen jedem Pelzträger eine Oma auf dem Gewissen hatte.
»Mann, wo hast du denn die ganzen Katzen her?«, kam ich also gleich auf den Punkt.
Agi stellte vor mir eine Teetasse auf die Häkeldecke des Couchtischchens.
Ein schwarzer Mäusefänger sprang auf Agis Schoß, kaum dass sie auf der anderen Seite der über Eck angeordneten Polstergarnitur Platz genommen hatte. Der Löwe hatte sich inzwischen wie ein Türsteher auf der Schwelle zum Flur niedergelassen.
»Ach, Katzen kriegst du hinterhergeschmissen.« Automatisch streichelte Agi das schnurrende Raubtier auf ihrem Schoß. »Guck mal in die Zeitung, da bieten immer ein paar Trottel junge Kätzchen an, weil sie das mit der Sterilisation nicht rechtzeitig gebacken gekriegt haben. Ich hab ein paar aus dem Tierheim geholt. Eine ist mir zugelaufen. Und Pedro frisst hier nur, der wohnt eigentlich gegenüber. Seit mein Mann gestorben ist, werden es immer mehr Katzen.« Sie zuckte die Schultern. »So ganz allein leben ist einfach nichts für mich.«
Lieber allein leben als mit Franzl, dem Katzenkaiser, der glaubte, Menschen seien ihm untertan.
Ich hielt die Teetasse in der Hand, ohne zu trinken. Mit Sicherheit schwammen Tierhaare in der Brühe. Denn Agi Friedlich gehörte offensichtlich zu der Sorte von Katzenfreundinnen, die nichts dagegen hatten, dass ihre Lieblinge beim Spaziergang auf dem Frühstückstisch an der Butter leckten.
»Was kann ich für dich tun, Liliana?«
Ach ja, irgendwie musste ich meinen Überraschungsbesuch begründen.
»Ich habe bei einer Patientin so ein Fotoalbum entdeckt. Hedi Sundermann hat es angelegt«, trug ich den Text, den ich mir zurechtgelegt hatte, vor. »Sonja Meierhoff sagte, Hedi und du, ihr habt so eine Fortbildung besucht?«
Die kleine Pflegerin sah mich überrascht an: »Du interessierst dich für Demenz?«
»Klar«, log ich. Genau, wie ich Altenpflegerin werden wollte. Was war Demenz noch mal gewesen?
»Demenz ist natürlich ein großes Thema in der Pflege, die Menschen werden ja immer älter.«
Demenz bedeutete so was wie Vergesslichkeit, Alzheimer, glaubte ich mich zu erinnern.
Agi musterte mich durch die dicken Gläser ihrer Brille. »Hast du eigentlich einen Schulabschluss?«, wechselte sie unvermittelt das Thema.
»Logo.«
»Wieso jobbst du dann ungelernt als Pflegehelferin?«
Moment mal. Wer verhörte hier eigentlich wen?
»Mach doch die Schwesternausbildung.«
»Ich schnuppere erst mal rein«, bremste ich.
Damit schien Agi sich zufriedenzugeben. »Das ist vernünftig, Mädchen. Die Biografiearbeit ist wirklich spannend. Dazu gehören die Erinnerungsalben, die Hedi und ich mit dementen Kundinnen und Kunden anlegen. Beim Blättern erinnern sich die alten Leute besser und es steigert ihr Selbstwertgefühl, wenn sie merken, dass man sich für sie interessiert. Neue Studien zeigen, dass die Biografiearbeit auch den
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