77 Tage
Türsteher. »Da hat Frau van Pels dann ’ne Ausnahme gemacht. Die Katzen wären sonst im Tierheim gelandet.«
Ich warf einen Blick auf den selbstgefälligen Löwen in der Tür. Wertvoll war er nicht gerade. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass außer Katzenfreundin Agi jemand scharf auf das gemeingefährliche Vieh gewesen sein könnte.
Als Mordmotiv schied der Perser aus.
Auch Agis Katzen waren also kein Grund für die Todesfallhäufung. Welch Überraschung.
In der U-Bahn summte erneut mein Handy an meinem Oberschenkel. Inzwischen hatte ich den Schock über den Anruf meiner Mutter so weit verdaut, dass ich wagte, es aus der Hosentasche zu ziehen und einen vorsichtigen Blick aufs Display zu werfen.
SMS von Danner.
Ich atmete auf. Noch hatte Claudius es nicht geschafft, meine Handynummer herauszukriegen. Wie sollte er auch?
Es war bereits Danners zweite SMS, die erste hatte er vor einer Stunde geschickt. Das war das Summen gewesen, vor dem ich die Flucht aus der Wohnung ergriffen hatte. Lächerlich im Nachhinein. Ich litt wohl an Verfolgungswahn.
Wo bist du?, wollte Danner wissen.
Noch zwei U-Bahn-Stationen, dann war ich am Rathaus, in zehn Minuten zu Hause. Damit würde sich die Frage wohl von selbst klären.
Simo Kracht ist Beisitzer im Vorstand des Hospizvereins. Seit einem Jahr, Mitglied seit zwei Jahren, lautete der Text von Danners älterer Nachricht.
Ich seufzte.
Damit war der Hospizverein aus dem Rennen. Das Phänomen der erhöhten Todesfallzahlen gab es bereits seit vier Jahren. Meine Erbschleicher-Idee endete also komplett in einer Sackgasse. Mist.
Ich starrte in die am Plastikfenster vorbeirasende Dunkelheit des U-Bahn-Schachtes, aus der Sekunden später die grell beleuchtete Haltestelle am Bergbaumuseum auftauchte.
Wer hat noch Vorteile durch den Tod der alten Menschen?, überlegte ich, während sich die Zugtüren zischend öffneten. Stimmen hallten durch den unterirdischen Bahnhof, Schritte klapperten auf dem spiegelnden, grauen Steinboden.
Der Pflegedienst nicht, der verlor seine Kunden.
Wer verdiente, wenn jemand starb?
Die Türen zischten zu und der Zug setzte sich mit einem leisen Ruck wieder in Bewegung.
Blöde Frage.
Tag 25
BELLAS BLOG:
MONTAG, 15.03 UHR
Jedes weibliche Wesen jenseits der sechzig würde Mario adoptieren. Vom Fleck weg. Ich wundere mich immer wieder darüber. Wie schafft er das? Er ist der Traum jeder Schwiegermutter. An diesem Wochenende ist er seinem Ruf erneut gerecht geworden.
Angefangen hat es bereits am Freitagabend mit Tante Minnas Winter-Grillparty.
Ich belächele Veranstaltungen, auf denen nur Bier und Bratwürstchen serviert werden. Mario hingegen ist in seinem Element. Zu jedem Nachbarschaftsstreit bildet er sich eine Meinung. In Sekundenschnelle. Selbst wenn es nur um die Windrichtung geht. Die den Grillrauch womöglich über die Zuchtrosen des Nachbarns weht.
Den militanten Rosenzüchter, der Tante Minna seit Jahren die Grillfeten vermiest, hat Mario ruhig gestellt. Um danach mit drei von Minnas Freundinnen aus dem Canasta-Klub eine Flasche Stonsdorfer zu leeren. Und sich Mogelmöglichkeiten beim Kartenspiel erklären zu lassen.
Am Sonnabend waren wir bei meiner Mutter. Mittagessen. Zwischen Sonntagsbraten und grüner Grütze hat er ihren Geschirrspüler repariert. Und ich habe eineinhalb Stunden damit verbracht, ihm Werkzeug anzureichen.
Meine Mutter wird ihn die nächsten Wochen als handwerkliches Genie vergöttern. Und sich wundern, wie er es mit einer Technik-Legasthenikerin wie mir aushalten kann.
Am Sonntag hat er seiner Mutter, meiner Mutter und mir Blumen geschickt. Rosen. Via Fleurop. Einfach so.
Mario macht solche Sachen.
Übrigens habe ich meine Periode noch immer nicht bekommen. Fast zwei Wochen bin ich drüber. Vielleicht sollte ich mal einen Test machen? Oder zur Ärztin gehen? Obwohl ich ihr vielleicht auf die Nerven gehe.
Vier Mal war ich da, seit ich die Pille abgesetzt habe. Weil meine Periode ein paar Tage verspätet eingesetzt hat. Einmal habe ich mich sogar nur verzählt. Wahrscheinlich ist es wieder ein falscher Alarm.
Außerdem haben Mario und ich ja über das Thema gesprochen. Eine Schwangerschaft wäre kein Beinbruch.
Nicht, dass ich versessen drauf bin, dem Mutti-Klub beizutreten. Ich habe nicht das Bedürfnis, auch in meiner Freizeit Windeln zu wechseln. Und ich fühle mich auch nicht wie kurz vor den Wechseljahren.
Andererseits bin ich inzwischen zweiunddreißig. Was, wenn meine Mutter recht hat? Wenn wir
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