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77 Tage

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Titel: 77 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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muss, dann gnade dir Gott!«
    Die alte Klingel an der Kneipentür schellte, als ich mich in den Wirtsraum warf. Das Licht blendete mich, die mollige Wärme schlug mir entgegen.
    Mein Kopf dröhnte, mein Herz hämmerte, ich presste den Rücken gegen die Tür, um sicherzugehen, dass mein Vater mir nicht folgte.
    Molle und Danner starrten mich an.
    Mit zitternden Fingern zerrte ich den Ärmel meiner Jacke über mein Handgelenk, an dem sich ein violetter Bluterguss abzeichnete.
    Tag 49
    BELLAS BLOG:
    DONNERSTAG, 23.21 UHR
    Ich will mich nicht wirklich scheiden lassen.
    Ich liebe Mario ja. Ich weiß, das klingt merkwürdig. Nach allem, was ich in den letzten Tagen geschrieben habe.
    Vielleicht bin ich naiv. Mir ist das ernst: in guten und in schlechten Zeiten. Und so weiter. Wir haben gerade eine schlechte Zeit. Aber deswegen gleich die Scheidung einreichen?
    So schnell gebe ich nicht auf. Es muss eine andere Lösung geben. Ich habe an eine Eheberatung gedacht. Das ist natürlich ziemlich peinlich. So kurz nach der Hochzeit.
    Trotzdem habe ich Mario darauf gesprochen.
    Begeistert war er nicht von der Idee. Und er hat seine Meinung nicht für sich behalten. Natürlich nicht.
    »Eheberatung? Um unsere Probleme zu lösen, brauchen wir keinen Seelenklempner. Die Probleme lösen sich von selbst, sobald du mal deinen Arsch hochkriegst und das Haus in Ordnung bringst. Statt vorm Computer zu hocken oder dich mit deinen Weibern zu besaufen.«
    Er sagte das nicht besonders laut. Es war lediglich eine Feststellung.
    Trotzdem wurde ich sauer.
    »Ich habe in dieser Woche nicht mal mit Sina telefoniert!«
    Wegen der Telefonphobie.
    »Und das Haus ist völlig in Ordnung! Gut, wir können nicht vom Boden essen wie bei Mellimutti! Aber wenn du das willst, hättest du Mellimutti heiraten müssen!«
    »Wer von uns schreit denn jetzt hier rum?«
    Ich schwieg.
    Tatsächlich war ich zuerst laut geworden. Zum ersten Mal.
    »Außerdem tickst du nicht mehr ganz richtig! Wenn es für dich in Ordnung ist, dass seit fünf Tagen eine halbe Pizza im Ofen vergammelt, brauchst du wirklich eine Therapie! Ich finde das eklig.«
    Ich merkte, dass mir die Worte fehlten.
    Die Pizza hatte ich vergessen.
    »Du bist so eine Schlampe, echt!«
    Ich dachte an mein Baby. In einem Jahr ist es live dabei. Wenn sein Vater seine Mutter eine Schlampe nennt. Und die es sich gefallen lässt. Weil ihr die passende Antwort nicht rechtzeitig einfällt.
    Mir stiegen Tränen in die Augen. Vor Wut! Noch nie in meinem Leben war ich so wütend gewesen wie in dem Moment.
    »Halt die Klappe!«, kreischte ich. Meine Stimme kippte. Egal. »Halt, verdammt noch mal, endlich die Fresse!«
    Das war nicht ruhig und sachlich. Das war Maurer-Vokabular. Aber anscheinend verstand Mario ja keine andere Sprache.
    Er explodierte. Eine sehr tiefe Falte entstand über seiner Nase. Plötzlich packte er mich mit beiden Händen um den Hals. Am Kopf hob er mich hoch. Ich habe nicht gewusst, dass das möglich ist.
    »Was sagst du zu mir? Halt die Fresse? Du solltest besser die Fresse halten. Wenn ich mit dir fertig bin, erkennt dich nicht mal deine Mutter wieder.«
    Sein Griff war grob. Nicht schmerzhaft. Na ja, nicht besonders. Erstaunlich, was eine Halswirbelsäule aushält.
    Trotzdem bin ich ausgerastet. Völlig. Kompletter Kontrollverlust. Ich habe geschrien und geheult und nach ihm getreten.
    Er hat mich wieder losgelassen. Vor Schreck wahrscheinlich. Wutanfälle kennt er nicht. Jedenfalls nicht von mir.
    Ich bin ins Bad gerannt und habe mich eingeschlossen. Geheult. Und geheult. Und nur noch gedacht, dass ich mich doch scheiden lasse!
    Mario hat an die Tür geklopft. Sofort. Beinahe.
    Und auch geheult. Und gesagt, dass er das nicht habe tun wollen. Dass es ihm leidtäte. Dass wir vielleicht wirklich eine Therapie machen sollten.
    Ich habe auf dem Klodeckel gehockt. Und weiter geheult. Ich konnte einfach nicht glauben, dass das eben tatsächlich passiert war.
    Will ich so einen Übergriff ernsthaft unter ›schlechte Zeiten‹ verbuchen? Weitermachen wie vorher? Das mit der Therapie hätte Mario sich zehn Minuten vorher überlegen sollen. Für ihn ist es kein Problem, sich zu entschuldigen und weiterzumachen wie vorher. Ich kann es nicht mehr.
    Ich muss mich scheiden lassen. Es geht nicht anders.
    Nach einer halben Stunde erhob ich mich vom Klo. Entschlossen stampfte ich zur Tür.
    Mario saß mit rot verweintem Gesicht auf der Treppe, gegenüber vom Badezimmer. Hastig sprang er auf. Ließ mich

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