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77 Tage

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Titel: 77 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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»Allerdings war die Küppers bis vor einem halben Jahr noch kerngesund«, entschied sie sich, weiterzusprechen. »Doch glücklicherweise kann man einen Gesundheitszustand ja ändern. Statt des Heparins, das sie täglich gespritzt bekam, um Schlaganfällen vorzubeugen, habe ich ihr etwas Insulin eines anderen Diabetikers gegeben. Wenn bei einem gesunden Menschen Insulin injiziert wird, registriert die Bauchspeicheldrüse den Überschuss und fährt die eigene Produktion herunter. Der körpereigene Insulinhaushalt gerät durcheinander und es entsteht ein künstlicher Diabetes. Den hat der behandelnde Arzt dann natürlich auch festgestellt und ihr ebenfalls Insulin verordnet.«
    Wow! Hedi hatte die Krankheit herbeigeführt. Um Karin Küppers unentdeckt beseitigen zu können.
    Beinahe stolz klang ihre Stimme: »So kann man leicht aus einem gesunden Menschen einen Diabetiker machen und bei einem toten Diabetiker fällt eine Überdosis Insulin nicht auf. Meist wird gar nicht genau untersucht. Du hast ja selbst gesehen, dass sich keiner wundert, wenn eine Sechsundachtzigjährige tot im Stuhl sitzt.«
    Hedi war eine Mörderin. Eine verdammt kaltblütige Mörderin. Und Hedi hasste Männer.
    »Wie viele Menschen hast du schon auf diese Art umgebracht? Oder soll ich lieber fragen, wie viele Männer es waren?«
    Ich sah genau, wie Hedi begriff, dass ich sie durchschaut hatte.
    »Woher weißt du es?«
    »Nonverbale Kommunikation« Ich zuckte die Schultern. »Das hast du mir selbst erklärt. Du ekelst dich, wenn du Herrn Lauscher versorgst. Aber du kannst nicht Nein sagen.«
    Hedi starrte auf mich herunter.
    »Du gehorchst immer noch, wie es dir dein Vater beigebracht hat«, fuhr ich fort. »Jedenfalls den Männern. Du kannst dich nicht wehren. Nicht mal, wenn sie dich begrapschen.«
    Hedis Hände zitterten. Genauso plötzlich, wie sie sich eben aufgerichtet hatte, ließen meine Worte sie wieder in sich zusammenschrumpfen.
    »Ich glaube, sie riechen es.« Hedi spuckte die Worte vor ihre Füße auf den Boden. »Ich benutzte Deo und immer mehr Kölnisch Wasser, aber meinen Angstschweiß riechen sie trotzdem. Sogar die Verwirrten, die sonst nichts mehr mitkriegen. Dass sie auf dir herumtrampeln können, das merken sie sofort. Sie hören einfach nicht auf.«
    Hedis Stimme versagte. Sie hustete kurz.
    »Ich behandele niemanden so«, erklärte sie trotzig. »Ich strenge mich an, um den Menschen zu helfen, auch den Männern. Ich respektiere ihre Persönlichkeit, auch wenn nicht mehr viel davon übrig ist. Nur mich respektiert niemand. Im Gegenteil. Wenn sie merken, dass ich freundlich bin, nutzen sie es aus. Dann wird es bei jedem Besuch schlimmer. Früher hatte ich Albträume. Jahrelang, wenn ich so einen Typen betreuen musste.«
    Ich fröstelte. »Früher?«
    »Jentsch hieß der Erste.«
    Der Erste.
    »Er war gelähmt nach einem Hirnschlag, bettlägrig. Er hat mich jedes Mal angepinkelt beim Waschen und sich totgelacht«, zischte Hedi gepresst. »Das war noch im Altenheim gewesen, bevor ich beim ambulanten Pflegedienst angefangen habe.«
    Die Gänsehaut kribbelte zwischen meinen Schultern.
    Agnes Friedlich und Hedwig Sundermann sind mit mir zusammen die Dienstältesten. Zwölf Jahre gibt’s den Laden schon und die beiden sind von Anfang an dabei gewesen, das hatte Anna Willms uns bei der Vorstellungsrunde am ersten Arbeitstag erklärt.
    »Drei Jahre lang habe ich jedes Mal geheult, wenn ich aus dem Zimmer raus war«, sprach Hedi weiter.
    Aber richtig sauer werden und ihm sagen, dass sie ihn nicht mehr behandeln wollte, das hatte Hedi nicht gekonnt. Ihre Wut hatte ihr Vater ihr viel früher abgewöhnt.
    »Und dann?«
    Hedi war kreideweiß geworden. Ihre Falten und Augenringe hoben sich dunkel von der fahlen Gesichtshaut ab. Kalter Schweiß glitzerte auf ihrer Oberlippe.
    »Dann bin ich ausgerastet«, flüsterte sie. »In der Nachtschicht. Er hat mich wieder angepinkelt und ich hab ihm ein Kissen ins Gesicht gedrückt, bis er sich nicht mehr gerührt hat.«
    Ich hielt den Atem an.
    Ihr erster Mord. Vor mehr als zwölf Jahren.
    Ganz ruhig bleiben. Ich wagte nicht, mich zu rühren, um sie nicht zu unterbrechen.
    »Ich sah mich schon im Gefängnis«, erzählte Hedi weiter. »Aber dann kam der Arzt und stellte Herzversagen fest und der Pinkler wurde einfach beerdigt.«
    Sie zuckte die Schultern.
    So hatte Hedi eine Möglichkeit entdeckt, sich zu wehren. Und sie seitdem genutzt. Ihr Fehler war letztendlich der Mord an einer Frau gewesen.

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