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77 Tage

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Titel: 77 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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unvermittelt, während sie erneut nach dem Gurt griff, sich anschnallte und den Motor startete.
    Häh?
    »Er hat mir immer beide Hände rechts und links auf die Ohren geklatscht. Benutz die Dinger, hat er gebrüllt. Zuhören und gehorchen sollte ich. Sprechen war nicht gewünscht.«
    Oje.
    Hedi rangierte den Wagen schweigend aus der Parklücke. Ich glaubte schon, mehr würde sie nicht sagen.
    Tat sie dann aber doch.
    »Mit sechzehn hatte ich doch mal einen Freund, also einen männlichen«, sprach sie weiter, nachdem sie den kleinen Wagen in den Verkehr eingereiht hatte. »Beim Tanzkurs, weil da alle einen hatten. Dem Kerl war es ganz recht, dass ich nur zuhörte und nicht redete. Da brauchte er nicht zu fragen, ob er mich schwängern durfte. Nach dem Tanzkurs war er weg und meine Eltern sind ausgerastet. Ein uneheliches Kind, das war in den Sechzigern eine Katastrophe. Eine Schande für die ganze Familie.«
    Ich merkte, dass ich unwillkürlich Hedis ernste Miene spiegelte, während ich nickte. Ich hatte ihren Erklärungen gut zugehört.
    Und Hedi fühlte sich tatsächlich verstanden und erzählte mehr: »Mein Vater hat mich in irgendeinen Keller geschleppt, wo eine böse, alte Frau die Schwangerschaft mit zwei Stricknadeln beendete. Eine Betäubung gab es nicht, ich sollte schließlich was draus lernen. Nach der Abtreibung habe ich Fieberkrämpfe und Blutungen bekommen. Zwei Wochen wusste niemand, ob ich überlebe. Später hat mir eine Gynäkologin erklärt, dass mir die alte Hexe den ganzen Unterleib zerstochen hat. Sie hatte noch nie solche Vernarbungen gesehen.«
    Klick machte es noch mal in meinem Kopf, laut dieses Mal. Und ein flaues Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus.
    Diese Geschichte kannte ich schon!
    O Gott, dachte ich und aus dem flauen Gefühl wurde Übelkeit. Das konnte doch nicht sein!
    Hedi parkte den Wagen.
    Ich spürte, wie mir das Adrenalin ins Blut schoss. Wie mein aufgeregt pochendes Herz das aufputschende Hormon durch meinen Körper trieb. Plötzlich war ich hellwach, meine Muskeln spannten sich, meine Hände wurden schwitzig.
    In Sekundenschnelle griffen sämtliche Zahnräder in meinem Hirn ineinander und rasteten ein.
    »Kann sein, dass es wirklich auch mit an meinem Vater liegt, dass ich Männer hasse«, grübelte Hedi nachdenklich. »Ich hab da noch nie drüber nachgedacht.«
    … dass ich Männer hasse?!
    Mein Herz flatterte gegen meine Rippen.
    Hedi schien vollkommen in ihren Erinnerungen versunken. Wahrscheinlich hatte sie nicht einmal bemerkt, dass sie laut gesprochen hatte.
    Ich schluckte trocken.
    Was sollte ich jetzt tun?
    Tag 63
    BELLAS BLOG:
    DONNERSTAG, 19.29 UHR
    Heute hatten wir den ersten Eheberatungstermin. Nachmittags um vier. Mario ist tatsächlich mitgekommen.
    Allerdings ist eine Eheberatung so eine Sache. Vielleicht benötigte die Therapeutin selbst Hilfe. Sie nennt sich psychologische Beraterin. Ich weiß, dass das ein Unterschied zur Psychologin ist. Der bedeutendste Unterschied ist wahrscheinlich, dass die Wartezeit bis zum ersten Termin beim echten Psychologen ein Dreivierteljahr beträgt.
    Ich habe der Therapeutin erzählt, dass Mario viel arbeitet. Und dass wir häufiger streiten. Seit ich schwanger bin.
    Mario versicherte ihr, dass er sich auf das Kind freue. Sehr. Im Augenblick wäre er nur gestresst. Meine Faulheit gehe ihm deshalb auf den Keks. Mehr als sonst. Und meine Unordnung auch.
    Die Therapeutin hörte mit gelangweilter Miene zu. Dann hat sie auf ihre Notizen gestarrt. Lange. Ich dachte schon, sie sei eingeschlafen.
    Aber dann hat sie doch was gesagt. Unser Fall sei doch klar, stellte sie fest. Ziemlich vorwurfsvoll. Als wäre es unverschämt von uns, ihre teure Zeit mit einer solchen Lappalie zu verschwenden.
    Unser Problem sei nicht die Schwangerschaft. Oder die Unordnung. Wie in den meisten Fällen seien das alles nur Symptome. Für ganz andere Schwierigkeiten. Tiefer gehende Probleme.
    Mario schnaufte verächtlich.
    Aus allem machen die Seelenklempner ein tiefer liegendes Problem. Hat er schon vorher prophezeit. Damit sich das Problem auf keinen Fall in einer einzigen Beratung lösen lässt. So besorgten sie sich Kundschaft. Für eine Langzeittherapie.
    »Bisher hatte Ihr Mann das Sagen in Ihrer Ehe.« Die Psychologin gähnte. »Und diese Position will er sich nicht streitig machen lassen.«
    Ich protestierte empört. »Er hat nicht das Sagen!«
    Mario rechtfertigte sich. »Wenn ich nicht sage, was gemacht wird, vergammelt uns das Haus

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