77 Tage
sieben tauchte Mario auf. Er hat sämtliche Beschimpfungen abgekriegt. Im Flur musste er über meine Handtasche hinwegsteigen.
»Bella! Verdammt, geht das schon wieder los? Räum das weg!«
»Räum es selbst weg, wenn’s dich stört! Ich bin doch hier nicht der Besen!«
Mario betrat das Wohnzimmer. Und entdeckte mich in meiner Decke auf dem Sofa. Über seiner Nase entstand eine Falte. Ich konnte zusehen.
»Sag mal, hast du einen Knall? Du gammelst hier seit heute Mittag rum und ich soll hinter dir herputzen? Bei drei bist du im Flur!«
Da war er wieder, der bekannte Befehlston.
»Du hast gehört, was ich gesagt habe! Ich räume die Tasche nicht weg. Wenn sie dich stört, mach es selbst. Ansonsten lass sie stehen!«
Das Blut stieg in seinen Kopf. Färbte ihn dunkelrot. Von unten nach oben.
War mir egal. »Ich hab die Schnauze voll! Ich bin doch kein Mülleimer, in den sich alle auskotzen können! Also leck mich.«
»Das hättest du wohl gern!«
Mario stampfte auf das Sofa zu. »Du bewegst dich jetzt!«
Er packte mich am Arm. Mit einem groben Ruck riss er mich auf die Füße. Zerrte mich durchs Wohnzimmer.
Das war der Moment, in dem ich durchgedreht bin.
Erstaunlich. Wie genau man merkt, wann man den Verstand verliert.
Denn plötzlich stand ein kleines Mädchen neben mir. Ganz deutlich konnte ich es sehen. Seine langen, blonden Haaren. Die dicke Brille auf seiner Stupsnase. Es hat sogar mit mir gesprochen. »Warum ist Papa so böse, Mama?«
Meine Wut explodierte in meiner Brust. Ich konnte den Knall spüren! Was fiel ihm ein, mich so anzufassen?
Ich hatte keine Chance, mich aus seinem Griff zu befreien. Das wusste ich. Und das machte mich noch wütender!
Ich habe gekreischt. Und geschlagen. Habe versucht, mich loszureißen! Natürlich hat er mich festgehalten. Deshalb der dunkelblaue Fleck. Rings um meinen linken Oberarm. Wo er zugepackt hat.
War mir in dem Augenblick egal. Ich hab nach ihm getreten. Ohne zu treffen. Mit der freien Hand habe ich auf seine Schulter gehämmert.
Irgendwann hat er dann doch losgelassen.
Aber ich konnte nicht aufhören zu schreien. Ich habe ihn auf die Brust geschlagen. So fest ich konnte. Mario ist einfach stehen geblieben. Hat sich nicht gerührt. Nicht mal gezuckt. Als hätte er die Schläge gar nicht bemerkt.
Schließlich hat er nervös gelacht. »Drehst du jetzt durch, oder was?«
Ich schrie noch immer. »Fass mich nie wieder an, kapiert?«
Dann bin ich die Treppe hoch. Hab mich in meinem Zimmer eingeschlossen. Wieder meine Sachen gepackt. Obwohl ich noch immer nicht weiß, wohin ich soll.
Ehrlich gesagt, habe auch ich mich erschrocken. Vor mir selbst. Ich bin zweiunddreißig. Ich kenne mich schon eine ganze Weile. Dass ich so ausrasten könnte, hätte ich nie gedacht. Denn eigentlich bin ich ja ein geduldiger Mensch.
Die Dieter-Geschichten habe ich mir jahrelang angehört. Mit dem Drachen kämpfe ich jeden Tag aufs Neue. Und zehn Jahre lang habe ich Marios Gemotze ertragen.
Aber heute hätte ich ihm am liebsten irgendetwas über seinen Dickschädel gezogen! Etwas möglichst Hartes. Schweres. Hätte ich etwas in der Hand gehabt, hätte ich es getan.
Ich brauche eine Therapie.
31.
»Wieso stehst du nicht auf Männer?«, erkundigte ich mich, während Hedi und ich zum Auto zurückkehrten.
Hedi lachte auf: »Frauen waschen sich regelmäßig.«
Sie stieg ein. Abgeblockt.
»Du findest Männer eklig?«, ließ ich mich nicht abwimmeln.
Hedi musterte mich abschätzend.
»Im Ernst, woran merke ich, dass ich lesbisch bin?«, köderte ich sie ein bisschen. »Wie bist du selbst darauf gekommen?«
Klar, ich machte ihr Hoffnungen. Tat, als würde ich ernsthaft in Erwägung ziehen, zu ihrem Ufer hinüberzuschwimmen. Nicht ganz fair, aber anscheinend eine gängige Ermittlungstaktik, denn Danner wandte sie ja ebenfalls an.
Hedi zuckte die verspannten Schultern: »Das war schon immer so.«
»Du hattest noch nie einen Mann?«
»Nee.« Hedi angelte nach dem Gurt. »Also nicht richtig. Vielleicht liegst du gar nicht so falsch. Ich ekle mich manchmal wahrscheinlich wirklich. Ein wenig.«
Ich überlegte. Hedi ekelte sich nicht nur vor Herrn Lauscher, dem Sexprotz. Sie stand auf Frauen, weil sie Männer generell unangenehm fand?
»Liegt’s an deinem Vater?« Für mich ein guter Grund. Aus meiner Sicht eben.
Der Gurt rutschte Hedi durch die Finger. Ratterte zurück. Sie fummelte am Hörgerät.
»Mit sieben hatte ich mein Gehör bereits verloren«, sagte sie
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