8 Science Fiction Stories, Eine Anthologie der Berühmten, 3te Folge
Bühnendarsteller; Opfer der mechanisierten Bühne. Trotzdem würden sie es Selbstmord nennen. Wie primitiv.
Aber vielleicht dachte der Selbstmörder auf dem Fenstersims des zwanzigsten Stockwerks genauso – an die Publikumsreaktion? Zielte nicht jede Wunde, die sich jemand selbst zufügte, in Wahrheit auf das Gewissen der Welt?
»Fünfzehn Minuten bis zum Beginn der Vorstellung«, krächzte der Lautsprecher. »Fünfzehn Minuten.«
»He, Thorny!« rief Feria ungeduldig. »Zur Garderobe. Du wirst schon gesucht.«
Thornier erhob sich müde, blickte flüchtig auf das Durcheinander der Bühnenarbeiter und Techniker und ging zur Garderobe. Eins war sicher: Er mußte weitermachen.
Das Haus war alles andere als überfüllt. Ein Drittel der Besucher hatte es vorgezogen, sich das Eintrittsgeld zurückzahlen zu lassen, statt eine Stunde zu warten und einen Ersatz-Andrejew zu sehen. Die Mehrheit der Zuschauer hatte jedoch den Theaterabend fest eingeplant und blieb, obgleich ihre Mißstimmung über die Verzögerung nicht zu übersehen war. Die Leute blickten ungeduldig auf ihre Uhren, und einzelne machten ihrem Unmut laut Luft, während die Stimme eines Ansagers vorbereitete Entschuldigungen verlas und musikalische Einlagen mit Werken russischer Komponisten brachte. Dann, endlich …
»Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen heute eine der beliebtesten Schauspielerinnen vorstellen, Ihnen allen durch Bühne, Fernsehen und Autodrama bekannt – Mela Stone!«
Thornier beobachtete aus den Kulissen, wie sie ins Rampenlicht trat. Sie schien unnatürlich blaß, aber die Make-up-Experten hatten gute Arbeit geleistet. Sie sah nur wenig älter aus als ihre Puppe, war immer noch hübsch, wenn auch nicht mehr von der arroganten Schönheit früherer Jahre. Sie hatte ihren blitzenden Schmuck abgelegt und trug ein einfaches dunkles Kleid mit tiefem Ausschnitt. Ihr lohfarbenes Haar war zu einer turbanartigen Frisur aufgesteckt und ließ die elegante Linie ihres Halses frei.
»Vor zehn Jahren«, begann sie, »probte ich für eine Aufführung unseres heutigen Stückes ›Der Anarchist‹, die niemals stattfand. Ich probte zusammen mit einem Mann namens Ryan Thornier in der Hauptrolle, dem Schauspieler, der diese Rolle heute abend ausfüllen wird. Ich erinnere mich mit einer gewissen Wehmut der Zeit …«
Ihre Stimme stockte, dann sprach sie lahm und wenig überzeugend weiter. Offenbar war die Rede von Jade Ferne verfaßt worden, und Mela machte den Eindruck, daß sie die Worte nur aussprach, weil es unhöflich gewesen wäre, sie auszulassen. Mela wurde für ihren versuchten Rückzieher bestraft, und Jade hatte sie nur mit der Drohung zum persönlichen Erscheinen bewegen können, andernfalls ihre Puppe mit einer grauen Perücke vor das Mikrophon zu stellen und die Rede verlesen zu lassen.
Melas einleitende Worte waren in der Absicht geschrieben worden, das Publikum davon zu überzeugen, daß es sich in Wahrheit glücklich schätzen durfte, in der Hauptrolle Thornier statt Peltier zu sehen. Aber sie ließen auch nicht andeutungsweise durchblicken, daß er als Person aus Fleisch und Blut auftrat. Überhaupt wurden die Bezeichnungen ›Puppe‹ oder ›Mannequin‹ sorgfältig vermieden. Man ließ dem Publikum seine vorgefaßte Meinung, tat aber nichts, sie zu unterstützen. Die Rede war kurz. Nach ein paar Anekdoten über die Uraufführung vor achtzig Jahren endete Mela Stone. »Und nun, meine lieben Freunde, gebe ich Ihnen – Pruschews ›Der Anarchist‹.«
Sie verbeugte sich lächelnd, verschwand tanzend hinter dem Vorhang und brach in Tränen aus. Ein majestätisches Aufbrausen der Musik kündete den Beginn des ersten Aktes an. Sie sah Thornier hinter den Kulissen stehen und verhielt. Der Vorhang begann sich zu heben. Sie lief ein paar Schritte auf ihn zu, zögerte und starrte ihn an. Ihre Augen liefen über; sie biß sich auf die Unterlippe.
»Hast du nichts Passendes zu sagen?« zischte sie.
»Ich …« Sein eisiges Lächeln verlor sich. Dies war sein erster kleiner Triumph über Mela, eine kranke, von Alpträumen geplagte Mela, die ihre Sicherheit mit dem Verlust ihrer Integrität bezahlt hatte und mit Ratenzahlungen wie dieser immer noch nicht fertig war. Mela, die er einmal geliebt hatte. Sein kleiner Triumph war – das sah er nun – nicht von der Art, die man auskosten kann.
Sie wollte weiter, doch er hielt sie zurück.
»Es tut mir leid, Mela«, murmelte er heiser. »Wirklich.«
»Du kannst nichts dafür.«
Aber da
Weitere Kostenlose Bücher