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8 Tage im Juni

8 Tage im Juni

Titel: 8 Tage im Juni Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Glaser
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weiterbelastet. Es gibt für alles fachliche Hilfe. Du weißt, ich steh alles mit dir durch. Aber du musst etwas tun! Du darfst dich nicht in Selbstmitleid suhlen.«
    Lovis hörte nicht zu. Er war weit weg, in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort. In einer Datscha, mitten in einem Birkenwäldchen: der Geruch von Wald und Pilzen, verkratzte Arme vom Brombeerpflücken, Gustav ruft von draußen: »Ich geh Holz für das Lagerfeuer sammeln.« Larissa wischt ihm mit einem Papiertuch die Beerenflecken aus den Mundwinkeln. Ihre Locken kitzeln seine Wangen. »Geh mit Papa«, sagt sie, hebt ihn hoch und lacht.
    Â»Mama«, murmelte Lovis. »Mama.«

Dienstag, 12. Juni
    Â»Ben liebt Anna, aber Anna hasst Ben«, las Jenny auf der Tür der Mädchentoilette. Anna war in ihrer Klasse, hatte Rotz und Wasser geheult, als Ben sie verließ und dann aus Rache den Spruch auf die Klotür gekritzelt. In der Zwischenzeit war Anna wieder mit Ben zusammen, den Spruch hatte sie aber nicht übermalt oder durchgestrichen. »Warum?«, hatte Jenny sie gefragt. Ein Schulterzucken und ein »Vielleicht macht er wieder die Biege?«. Liebeswirren, so was hielt Jenny sich vom Leib. Ihr persönlicher Lieblingsspruch stand auf der Wand eine Kabine weiter und hieß: »Reiche Eltern für alle!« Unterschreib ich hundertprozentig, sagte sie sich jedes Mal. Eine irre Vorstellung, mal richtig Geld zu haben!
    Die Schulglocke läutete das Ende der Pause ein. Die Safranski mit ihren blöden Gedichten konnte Jenny heute gestohlen bleiben! Und auch deren hartnäckiges Fragen nach dem Geld für die Klassenfahrt. Wieder keine Hausaufgaben und immer noch kein Geld für die Klassenfahrt, so sah es aus! Jenny wartete auf der Toilette, bis alle zurück in den Klassenzimmern waren, dann schlich sie sich aus dem Schulgebäude und schlug den Weg zum Mülheimer Stadtgarten ein. Der Ausflug würde die Zahl ihrer unentschuldigten Stunden um ein paar weitere in die Höhe treiben, aber sie brauchte diese Auszeit. Nicht nur wegen der nichtgemachten Hausaufgaben, sie musste nachdenken.
    Zehn Minuten später setzte sie sich auf eine Bank im Stadtgarten. Um diese Uhrzeit war der Park noch fast menschenleer. Keine krakeelenden Alkis, die mussten sich auf dem Wiener Platz erst das Geld für ihren Stoff zusammenschnorren. Keine kreischenden Spielplatzkinder. Stattdessen eine Entenfamilie auf dem Teich und ein leichter Wind in den Pappeln. Die Entenbabys schnatterten leise und die silbrigen Pappelblätter raschelten sanft. Angenehme Gefährten, wenn man allein sein wollte.
    Heute Morgen hatte sie wieder der Fünf-Uhr-Zug geweckt, und das nachdem sie erst sehr spät eingeschlafen war. Wieder und wieder hatten sich ihr im Dunkeln die Bilder der Schläger unter dem Schmetterlingsbaum aufgedrängt. Wieder und wieder hatte sie versucht, sich deren Blicke zu vergegenwärtigen. Der von Kemal tumb, der von Alex irre, aber bei keinem der beiden auch nur der leiseste Funken eines Wiedererkennens. Die zwei hatten sie auf dem Bahnsteig nicht gesehen. Mit dieser Gewissheit konnte sie sich irgendwann beruhigen und ins Reich der Träume gleiten. Sie musste endlich aufhören, sich deswegen Sorgen zu machen. Sorgen hatte sie schon genug. Als sie Jasmin heute Morgen wachgerüttelt hatte und diese endlich die Augen aufschlug, schien sie weit weg, überhaupt nicht anwesend zu sein. Und Oma Hilde, die Jenny auf dem Weg zur Schule dann doch angerufen hatte, ging nicht ans Telefon.
    Ein Blick auf die Zeitanzeige des Handys, in fünfzehn Minuten musste sie zur Schule zurück. Ernährungslehre wollte sie auf keinen Fall verpassen. Das war wirklich interessant. Vitamine behandelten sie zurzeit, als zukünftige Köchin musste sie alles darüber wissen. In dem Moment, als sie ihr Handy zurückstecken wollte, trudelte die SMS ein. »Wo steckst du? Hab interessante Neuigkeiten«, simste Frauke.
    Frauke, die Pendlerin zwischen den Welten, die sich in der Roten Burg so sicher bewegte wie im Jobcenter oder im Büro des Schulleiters. Kriegerin nannte Jenny sie, weil sie wie eine Löwin kämpfen konnte. Oder Feuerwehrfrau, weil Frauke zur Stelle war, wenn es brannte. Hatte die Safranski sie angerufen? Gepetzt, weil Jenny mal wieder die Schule schwänzte?
    Interessante Neuigkeiten. Bei Frauke hieß das immer, dass man sich für irgendwas entscheiden musste. Manchmal erleichterte

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