80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)
sollte ich schon sagen? Bei meinem Lebenswandel würde man mich dort nur schallend auslachen. Und selbst wenn nicht, Victor brauchte nur ein einziges dieser Fotos zu veröffentlichen, und alles wäre vorbei. Wie leicht konnten die Bilder Te Aroha erreichen. Meine Eltern würden es nicht überleben, wenn sie davon in der Zeitung lasen.
Ich brauchte jemanden, mit dem ich darüber reden konnte, aber Cherry war unerreichbar, und Chris, mein bester Freund in London, kam nicht in Frage. Für ihn war bereits die Sache mit Dominik schwer zu verdauen gewesen. Bei seinem manchmal etwas übertriebenen Beschützerinstinkt musste ich damit rechnen, dass er umgehend einen Killer auf Victor ansetzte.
Wenn ich an Chris dachte, wurde mir ganz wehmütig ums Herz. Außer meinem alten Geigenlehrer, Mr. van der Vliet, war er der einzige Mann in meinem Leben, der nie versucht hatte, bei mir zu landen. Ich vermisste das Gefühl von Sicherheit, das mir seine Gesellschaft und die Gespräche mit ihm gaben. Wir würden nie etwas anderes als gute Freunde sein, und so war sein Rat stets frei von dem Hintergedanken, mich ins Bett zu bekommen. Ich hatte es längst aufgegeben, mir darüber Gedanken zu machen, warum Chris und ich körperlich nicht voneinander angezogen waren. Andere Frauen fanden ihn durchaus attraktiv, bei seinen Auftritten wurde er stets von einer ganzen Schar Groupies umschwärmt. Vielleicht lag es daran, dass wir beide Musiker waren, so war ich natürlich weniger beeindruckt von ihm als seine Fans.
Chris war ziemlich lieb und dabei unheimlich altmodisch. Wir tauschten uns normalerweise nicht über unser Sexleben aus, aber wenn er dann doch einmal etwas von meinem erfuhr, machte er mir unumwunden klar, dass ihm meine erotischen Eskapaden Sorge bereiteten. Er verstand nicht, was für einen Kick ich aus meinen Vorlieben zog, und er hielt sie für gefährlich. Für ihn waren sie nicht etwas, das Spaß machte und klaren Regeln folgte, er sah in einem Dom nur einen durchgeknallten Kontrollfreak, der mir Schmerzen zufügen wollte. Noch hatte ich die Hoffnung nicht aufgegeben, ihn eines Tages von seiner starren Meinung abzubringen, aber das musste ich langsam und vorsichtig angehen. Ich wollte ihn nicht verlieren, nicht um alles in der Welt; also musste ich mir einen anderen suchen, mit dem ich über meine Probleme mit Victor reden konnte. Chris kam dafür nicht in Frage.
Da fiel mir Lauralynn ein. Ich hatte allerdings keine Nummer von ihr und sie außerdem fast schon ein Jahr nicht mehr gesehen oder gesprochen. So voller Selbstvertrauen, wie sie war, konnte sie sicher das eine oder andere zu meinem Problem sagen. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie einsam und isoliert ich war. Nach meiner kurzen Zeit zu Hause bei meinen Freunden und meiner Familie spürte ich das besonders deutlich.
Dominik war mein Tor zur Welt geworden, mein Fixpunkt, mein Hafen im Sturm. Aber wenn er von dieser Geschichte erfuhr und wenn er hörte, wie es dazu gekommen war, verlor ich ihn womöglich für immer.
Ich steckte wirklich in der Klemme.
An diesem Abend betrank ich mich zum ersten Mal seit einer Ewigkeit. Ich ging ins West Village und klapperte die Bars um die McDougall und Sullivan ab, wo ich mir wahllos Bier und härtere Sachen reinkippte. Ob ich einfach nur meinen Kummer im Alkohol ertränken wollte oder diesen bestimmten Zustand wattiger Bewusstlosigkeit anstrebte, weiß ich nicht mehr. Alkohol hat noch nie meine Stimmung gehoben. Gewöhnlich macht er mich nur trübselig und reizbar. Deshalb wurde ich wahrscheinlich auch in keiner Bar angesprochen – ein Glück, denn ich war nun wirklich nicht in der Verfassung, eine vernünftige Entscheidung zu treffen, falls es jemand darauf anlegte, mich abzuschleppen. Nicht dass ich in meinem Zustand überhaupt daran interessiert gewesen wäre. Das Leben war so schon kompliziert genug.
Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig in meine Wohnung zurück, um die Kloschüssel zu erreichen, die ich spektakulär vollkotzte. Todmüde und völlig ausgebrannt schleppte ich mich dann ins Schlafzimmer, ließ mich aufs Bett fallen und schlief auf der Stelle ein.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war es noch dunkel. Mein Kopf fühlte sich an, als würde er von einem Schraubstock zusammengequetscht. Im Badezimmerschränkchen fand ich keine Schmerztabletten, Dominik war nicht der Typ, der Medikamente bunkerte, und so lag dort lediglich die Schachtel mit meiner Pille. Ich schaute mich im Spiegel an: Schrecklich sah ich
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