80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)
Spiel mit Summer bis zum Äußersten zu treiben, hatte er ohne eigenes Zutun die Grenze zwischen Gut und Böse überschritten. Ja, es war alles falschgelaufen, und zwar schon, seit er sie in der Londoner U-Bahn Geige spielen sah und darüber nachzudenken begann, wie er sie in sein Netz, in sein Bett und in sein Leben locken konnte, zu Bedingungen, die er bis jetzt selbst nicht verstand.
Und sie? Wie viel wusste sie über die Kräfte, die ihre Sexualität lenkten? Hatte sie ihm jemals ihr Herz geöffnet, oder war sie nur Opfer ihres Verlangens, dem sie selbstsüchtig folgte?
Wenn er sie jetzt nur sehen, ihr tief in die Augen schauen könnte! Vielleicht würde er eine Antwort finden, einen Hinweis zur Erklärung dieses furchtbaren Durcheinanders aus Gefühlen und Sehnsüchten, die ihn mit solcher Gewalt überfielen, dass er sich ganz hilflos vorkam.
Summer war seit achtundvierzig Stunden nicht ins Loft zurückgekehrt.
Vielleicht war sie bei einer Freundin. Bei Cherry oder Susan, ihrer Agentin. Am wahrscheinlichsten aber bei Simón, ihrem Freund und Dirigenten, der ihr so großzügig seinen Übungsraum zur Verfügung gestellt hatte. Sehr verdächtig eigentlich.
Ihre Kleider hingen noch neben seinen in ihrem gemeinsam benutzten begehbaren Kleiderschrank, eine Nähe, die nun etwas Befremdliches bekommen hatte. Häufig strich er mit der Hand über die weichen Stoffe, was ihm jedes Mal einen Stich ins Herz versetzte, und er sog den Geruch ihres Körpers ein, der sich in den Tiefen der Gewebe eingenistet hatte. Wie ein Fetischist, dachte er dabei. Wenigstens wühlte er nicht wie besessen in ihrer Unterwäsche herum. Nicht dass ihm das Bedürfnis völlig fremd gewesen wäre.
Die Bailly, die in ihrem unterdessen ziemlich abgewetzten Kasten in einer Ecke des Lofts stand, war nicht zu übersehen. Dominik wunderte sich, dass sie die Geige weder mitgenommen noch später abgeholt, sie sozusagen ihrem Schicksal überlassen hatte. Ein endgültiges Zeichen, dass sie nicht die Absicht hegte, Dominik noch einmal zu sehen, und zugleich eine schmerzliche Erinnerung an das, was sie einst zusammengeführt hatte.
Nein, dachte Dominik, es ist nicht mein Fehler. Und auch nicht ihrer. Sie waren beide bloß Figuren in diesem Spiel gewesen, Opfer ihrer Lust und der Widersprüche des Begehrens.
Mit Victor war das etwas ganz anderes. Er hatte von Anfang an gewusst, was er tat. Er trug die Hauptverantwortung für die traurigen und elenden Folgen.
»Hi, Lauralynn.«
»Hallo, Dominik. Wie geht’s?«
»Um ehrlich zu sein, ich bin verdammt sauer … Wie war’s in Boston?«
»Ein Kinderspiel«, antwortete Lauralynn. »Auf wen bist du sauer?«
»Auf deinen Freund Victor.«
»Ach herrje, was hat der denn wieder angestellt?«
»Darüber will ich gar nicht sprechen. Aber weißt du, wo ich ihn erreichen kann? Ich finde den Zettel nicht, auf dem ich mir seine Adresse notiert habe. Ich muss dringend mit ihm reden.«
»Im Ernst?«
»Bitte, Lauralynn …«
»Mach bloß nichts, was du hinterher bereust, Dominik«, warnte ihn Lauralynn, rückte dann aber doch mit der Adresse heraus. Ihr war klar, dass er sie überhaupt nie gehabt hatte.
»Dominik?« Aber er hatte schon aufgelegt.
Es nahm kein gutes Ende.
Victor wollte Dominik nicht in die Wohnung lassen, als der unvermittelt vor seiner Tür stand, war aber bereit, sich anderswo mit ihm zu unterhalten. Sie hatten beide keine Lust, sich in einer Bar auseinanderzusetzen oder an einem anderen Ort, wo viele Leute sein würden. Das Haus, in dem Victor wohnte, stand nur wenige Blocks vom Central Park entfernt, unweit des Dakota Building, und so machten sie einen kleinen Spaziergang zum Pond unweit des Hallett Sanctuary. Es wurde schon dunkel, und die Besucher und Touristen begannen bereits, sich zu zerstreuen.
Victor reagierte ziemlich schnoddrig, als Dominik ihn auf die Party und die schändliche Art, wie er mit Summer umgegangen war, ansprach.
»Aber du hättest die Sache jederzeit stoppen können, oder? Dabei hast du nichts unternommen. Hast zugelassen, dass sie es durchzieht. Ich war zu dem Zeitpunkt eigentlich nur noch Beobachter«, rechtfertigte sich Victor.
Das süffisante Grinsen, das ihm wie immer im Gesicht geschrieben stand, wirkte auf Dominik wie ein rotes Tuch. Er spürte Zorn in sich aufsteigen. Jedes Wort Victors versetzte ihm einen weiteren Stich ins Herz und führte ihm die Niederträchtigkeit dieses Manns vor Augen, der ihn zum größten Fehler seines Lebens verleitet
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