80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)
zurück und fasste an meine Hände auf dem Rücken, um sicherzugehen, dass mein Blut noch zirkulierte und nichts eingeschlafen war. Ich fing an, leise zu schwanken, als ob ich nach einer Massage zu schnell aufgestanden wäre.
Als Tabitha nach ihrer Unterweisung schließlich zurückkam, um mich aus der Schnürung zu befreien, war ich ziemlich benommen. Das Seil rieb leise raschelnd an meiner Haut, als sie die Knoten löste. Sich wieder bewegen zu können, war fast so angenehm, wie weiter ausgeliefert zu sein. Ich streckte die Arme und schüttelte die Hände, damit das Blut wieder hineinfloss.
Dann betrachtete ich meine Unterarme und studierte das Muster, das das Seil auf meiner Haut hinterlassen hatte: etwas tiefere Schraffierungen, die weiß waren, wo das Seil eingeschnitten und die Blutzufuhr behindert hatte, und rot an den Rändern. Irgendwie erinnerte mich dieser Anblick an die traditionellen karierten Tischdecken in einem italienischen Lokal.
Cherry versicherte mir, die Abdrücke würden in wenigen Stunden verschwunden sein, was ein Glück war, denn am Abend hatte ich wieder Probe. Wir verabschiedeten uns mit dem Versprechen, in Verbindung zu bleiben und einen weiteren Ausflug in die New Yorker Fetischszene zu unternehmen.
Ich war so froh, neue Freunde gefunden zu haben, dass ich an diesem Tag richtig gut spielte.
Die Abdrücke auf meiner Haut waren allzu rasch verschwunden, sodass ich sie mir schon bald zurückwünschte, um ein Andenken an diesen netten Nachmittag zu haben. Doch ich musste mich mit der Erinnerung an das Erlebnis begnügen, das ich immer wieder Revue passieren ließ. Während der Fesselung war ich bekleidet gewesen, wie es das Workshop-Reglement verlangte, damit die noch ungeübten Rigger nicht von nackten Körpern abgelenkt wurden und sich auf den Unterrichtsstoff konzentrieren konnten. Aber das nächste Mal würde ich es nackt probieren, überlegte ich, damit ich das Seil überall und nicht nur auf meinen Armen spürte.
»Gut gemacht heute Abend«, rief Simón mir zu, als ich die Bailly in den Geigenkasten legte. Er war noch im Gespräch mit Alex, dem Posaunisten.
Wir waren unterdessen ein zweites Mal zusammen in dem italienischen Café gewesen, und es entwickelte sich eine lockere Freundschaft zwischen uns. Ihn besser zu kennen, wirkte sich positiv auf mein Spiel aus. Ich konnte jetzt Andeutungen von ihm folgen, die derart subtil waren, dass er sich ihrer wohl selbst nicht bewusst war, und interpretierte die Kompositionen genauso wie er. Später dann sonnte ich mich in seinem Lob, ich würde immer weiter über mich hinauswachsen.
»Bis Donnerstag«, verabschiedete ich mich beim Hinausgehen.
Mir war angesichts der Situation nicht ganz wohl. Ich hatte den richtigen Zeitpunkt verpasst, beiläufig Dominik zu erwähnen und Simón damit wissen zu lassen, dass ich nicht ganz frei war. Zwar war es bisher zu keinem Annäherungsversuch gekommen, aber ich hatte dennoch das ungute Gefühl, dass ich ihm etwas vormachte.
Doch jetzt war es zu spät, denn ich hatte gerade bei ihm geklingelt. Er wohnte in einer heiß begehrten Ecke der Upper West Side, nur einen Steinwurf vom Lincoln Center entfernt. In der Hand hielt ich einen noch dampfenden Kürbiskuchen, den Marija trotz meiner Einwände für mich gebacken hatte, als sie erfuhr, dass ich ein »Rendezvous« mit dem Dirigenten hatte.
Simón öffnete die Tür und nahm mir den Kuchen ab. Heute Abend trug er eine goldene Weste, passende goldene Manschettenknöpfe, dazu seine spitzen Schlangenlederstiefel und sah aus wie ein Gangster aus einem Dreißigerjahre-Film. Das passt zu ihm, dachte ich, denn manchmal hantierte er mit dem Taktstock, als wäre er eine Maschinenpistole. Jetzt ärgerte ich mich, dass ich mich nicht mehr aufgedonnert hatte. Denn nach längerer Überlegung hatte ich mich für ein eher lässiges Outfit entschieden: anschmiegsame schwarze Leggings, einen langen Cardigan von J. Crew und flache Sandaletten. Er sollte nicht denken, ich käme zu einem Rendezvous. Bei der ersten Gelegenheit schlüpfte ich jedoch ins Bad und legte Perlenohrringe und die dazu passende Halskette an, Schmuck, den ich in die Handtasche gestopft hatte für den Fall, dass der Rahmen des Abends festlicher als erwartet war.
Die anderen Gäste waren ein bunt gemischtes Völkchen, denn die meisten Amerikaner waren zu ihren Familien gefahren. Simón hatte all die Leute aus seinem Bekanntenkreis eingeladen, die sonst nicht wussten, wohin: Al, einen Architekten auf
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