80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)
Seil-Bondage am nächsten Samstagnachmittag. Ich hatte bisher nur wenig Erfahrung mit erotischen Fesselspielen, fand die Fotos aber aufregend. Gemessen an meiner Reaktion auf die Einschnürung durch das Korsett oder auf Dominiks Fesselung meiner Handgelenke mit den halterlosen Strümpfen schien es genau mein Ding zu sein. Bei einem Einführungskurs bestand außerdem kein Risiko, auf Victor oder einen seiner Kumpane zu treffen, was bei einem Clubabend leicht passieren konnte.
Aus Datenschutzgründen war keine Postadresse angegeben. Ich schrieb eine E-Mail an die Info-Adresse auf der Homepage, ich sei neu in der Stadt und interessiert an der Teilnahme.
Schon einen Augenblick später erhielt ich Antwort von einer gewissen Cherry Bang, zweifellos ihr Szenename. Sie sei an der Organisation des Workshops beteiligt, und ich könne gern als »Rope Bunny« teilnehmen, also als Freiwillige, die sich von den Eleven der Shibari-Kunst fesseln ließ, dass ich aber nicht gezwungen sei, es selbst zu probieren, wenn ich nicht wollte. Da ich neu in der New Yorker Szene sei, schlug sie vor, sich doch erst einmal auf einen Kaffee zu treffen. Wir vereinbarten dafür den Samstagvormittag, ein paar Stunden bevor der Workshop anfing.
Beschwingt durch die Aussicht auf meinen ersten Szenekontakt am Wochenende, ging ich frohen Herzens und mit federndem Schritt zur Probe. Meine gute Laune spiegelte sich in meinem Spiel wider, und am Ende des Durchlaufs fühlte ich mich geradezu belebt. Ich vermisste zwar Dominik noch immer, aber ich lernte, ohne ihn zurechtzukommen. Alles fing an, sich zu fügen.
»Du hast heute Abend sehr gut gespielt«, sagte Simón. Obwohl er es weniger als Lob, sondern vielmehr als Feststellung gemeint hatte, errötete ich vor Stolz. Da er nach der abendlichen Probe noch voll mit Adrenalin war, funkelten seine braunen Augen im Licht.
»Danke«, erwiderte ich. »Ich fand dich auch großartig.«
»Das höre ich gern. Es ist nie ganz einfach, ein Orchester zu übernehmen, vor allem wenn der frühere Dirigent viel erfahrener war. Ich weiß nie, ob ich sanft oder hart auftreten soll oder wie ich mir Respekt verschaffe, ohne mich als Tyrann aufzuspielen.«
»Ich finde es schön, dass du hier bist.«
Vielleicht lag es an der Erregung durch die Musik des heutigen Abends, dass ich weitersprach.
»Hast du Lust, noch irgendwo etwas zu trinken?«, fragte ich.
Er sah mich an und überlegte. Noch nie war mir bei meinen bisherigen Dirigenten in den Sinn gekommen, mit ihnen auszugehen – sie waren auch alle erheblich älter gewesen –, ich wusste also nicht, ob das gegen irgendwelche ungeschriebenen Regeln verstieß. Andererseits war es ja kein Rendezvous – zwei Fremde in der Stadt würden zusammen etwas trinken, mehr nicht. Bestimmt war auch Simón neu in New York.
»Gern«, erwiderte er und grinste.
Wir gingen in ein italienisches Café an der Lexington Avenue, wo ich einen Affogato bestellte, Vanilleeis mit Kaffee und einem Schuss Cointreau. Der Kellner, ein Italoamerikaner mit dröhnender Stimme und leuchtend blauer Schürze, servierte mir das Dessert auf einem Tablett: die Eiskugel in einem Martiniglas auf einer weißen Untertasse mit roter Serviette darunter, daneben ein langer Silberlöffel, der kochend heiße Espresso und der Likör jeweils in einem Schnapsglas. Er goss beide Flüssigkeiten mit großer Geste über das Eis und brachte mir dann auf einem Teller noch zwei Biscotti.
Simón beäugte erst die raffinierte Kreation und dann sein schlichtes Glas Rotwein.
»Jetzt bin ich ein bisschen neidisch«, sagte er.
Ich reichte ihm den Löffel. »Bitte sehr.«
Er zögerte kurz, bis er diese vertraute Geste akzeptierte und kostete. »Mmmh, schmeckt gut.«
Ich nahm ihm den Löffel wieder aus der Hand. Der Stiel war noch warm von seiner Berührung, die Laffe hingegen eiskalt.
»In Venezuela essen wir Kokosnuss mit Karamell zum Nachtisch«, erzählte er. Er betonte das K in den Wörtern auf eine Weise, als denke er dabei an etwas weniger Unschuldiges. Doch da sein Blick dabei weiterhin nur warm und freundlich war, wusste ich nicht, ob er flirtete.
»Klingt nach einer wunderbaren Zusammenstellung. Wie lange lebst du schon in New York?«
»Ich bin hier geboren. Meine Mutter war an der Wall Street. Sie hat meinen Vater im Urlaub kennengelernt. Er hat in einer Band gespielt. Er ist dann zwar in die USA eingewandert, um mit ihr zusammen zu sein, hat aber nie richtig Fuß gefasst, und deshalb sind wir nach Südamerika
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