80 Days - Die Farbe der Begierde: Roman (German Edition)
Dies war ein Moment, in dem ich mehr als jemals sonst mein Instrument in der Hand halten wollte.
»Keine Sorge«, flüsterte Simón mir ins Ohr. »Deine Bailly ist in Sicherheit. Ich habe sie mit meinen Sachen nach hinten gebracht.«
Er nahm mir das Glas ab und drückte mir stattdessen eine Flasche Bier in die Hand. »Ist das nicht mehr nach deinem Geschmack?«
»Oh, danke. Nett von dir.«
»Nichts zu danken. Du warst ungeheuer gut heute Abend. Ehrlich.«
»Danke. Ich wünschte nur …«
»Was?«
»Ich will ja nicht unhöflich sein, aber ich habe das Gefühl, mir platzt gleich der Schädel. Wenn ich mich einfach nur hinsetzen könnte …«
»Ich kenne das Gefühl. Komm mit!«
Er nahm meine Hand und zog mich durch eine Seitentür in einen angrenzenden Raum, dann durch einen Korridor. Die nächste Tür, die er öffnete, führte in ein Treppenhaus. Es ging nach unten, und ganz hinten erkannte ich im Dunkeln eine weitere Tür. Ich zögerte. Die Stufen waren zwar aus Holz und nicht aus Stein, es roch hier auch nicht wie in einem alten Gemäuer, und dennoch fühlte ich mich an die Krypta erinnert, in die Dominik mich bestellt hatte, den Ort unserer ersten sexuellen Begegnung.
Dominik. Eigentlich sollte ich mit ihm feiern statt mit Simón, denn hätte er mich vor über einem Jahr nicht zufällig an der Station Tottenham Court Road Vivaldi spielen hören, wäre ich nicht hier. Vieles, was sich seitdem ereignet hatte, wäre ohne Dominik nicht geschehen; unsere zufällige Begegnung hatte mich fortgerissen wie ein reißender Strom und mein Leben in ganz neue Bahnen gelenkt.
Ich zögerte.
»Keine Angst, da unten spukt es nicht. Da ist nur ein alter Lagerraum. Ansonsten weiß ich keinen Platz in diesem Haus, wo man wenigstens für ein paar Minuten seine Ruhe haben kann.«
Ich folgte ihm nach unten. Nur für einen kurzen Augenblick, und Dominik würde hoffentlich noch ein Weilchen auf mich warten.
In dem Raum selbst sah es dann überhaupt nicht aus wie in der Krypta. Es gab lediglich ein paar Regale mit Putzmitteln, einige Kisten, Eimer und Wischmopps.
Simón stülpte einen gelben Plastikeimer um, setzte sich darauf und streckte seine langen Beine ungelenk von sich.
»Heute Abend mal schlichte schwarze Schuhe, wie ich sehe?«, sagte ich. Er sah komisch aus in seinem feinen schwarzen Anzug auf dem knallgelben Eimer in der staubigen Umgebung dieses Lagerraums.
Ich stülpte einen anderen Eimer um, und nachdem ich ihn sorgfältig abgeklopft hatte, damit mein Kleid nicht schmutzig wurde, setzte ich mich neben ihn.
»Auch so was«, meinte er. »Eines von den vielen Dingen, die ich in vornehmer Gesellschaft besser verberge. Wohl kaum jemand wird Schlangenlederstiefel bei einem Orchesterdirigenten für angebracht halten. Du bist da ja etwas mutiger mit deinem Kleid.«
Da wir so nah beieinander saßen, konnte er wahrscheinlich kaum übersehen, dass ich keinen BH trug.
Ich zuckte die Achseln. »Sexy verkauft man sich besser«, sagte ich. »Kennst du auch nur eine einzige trutschige Musikerin, die es zu etwas gebracht hat? Heutzutage geht es doch nur noch um Sex, auch in der Klassik.«
»In der Klassik war das schon immer so. Und nicht nur bei den Frauen.«
»Genau. Deshalb kämpfst du dich auf dem Rückweg zu deiner Garderobe auch immer durch Horden von Groupies, nicht wahr?«
»Ganz so schlimm ist es nicht, aber manchmal hat es was davon. Ich gehe kaum noch mit Frauen aus, weil ich nicht mehr richtig unterscheiden kann, ob eine sich nun wirklich für mich interessiert oder sich nur mit einem Dirigenten zeigen will. Wie ist es bei dir? Hat sich dein englischer Freund herbemüht, um deinen Auftritt zu sehen?«
»Ja, er ist sogar für ein paar Monate nach New York gekommen. Wir wohnen zusammen.«
»Dann hat er also rasch reagiert. Kann man ihm nicht verdenken.«
Ich sah auf meine Füße, um Simóns Blick auszuweichen. »Ich gehe besser wieder rauf. Er wird sich schon fragen, mit wem ich meinen Erfolg feiere.«
»Ja, das solltest du. Warum lädst du ihn nicht zu uns ein? An einem Abend wie diesem hättest du eine ganze Elefantenherde hinter die Bühne mitnehmen können, wenn du gewollt hättest.«
»Ich weiß nicht«, murmelte ich. »Besser, man hält die Dinge auseinander. Ich finde es keine gute Idee, Job und Vergnügen miteinander zu vermischen.«
»Genau. Ich hatte ja schon Gelegenheit, deine Haltung dazu kennenzulernen … Aber ehe du jetzt gleich aufbrichst, solltest du noch mit jemandem sprechen.«
Er war
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