80 Days - Die Farbe der Lust
beiseite.
»Dein Handy klingelt ohne Ende. Du könntest dir mal einen anständigen Klingelton zulegen.«
»Das ist Vivaldi, du Banausin.«
Sie zuckte die Achseln.
Ich zog das Handy aus meiner Handtasche und checkte die verpassten Anrufe. Darren. Zehnmal heute Nacht, ein Dutzend Mal heute Morgen. Er musste das mit der Geige erfahren haben. Ich warf einen Blick auf die Uhr, die über dem Küchenherd hing: drei Uhr nachmittags. Ich hatte den halben Tag verschlafen.
»Bleib doch noch eine Nacht hier«, bot Charlotte an. »Ich bekoche dich. Seit ich hier wohne, habe ich noch nicht ein Mal den Herd benutzt.«
Sie zog los und machte Einkäufe, während ich in der Wohnung blieb, um zu duschen und mich auszuruhen. Ich nahm ein Bad und verbrachte anschließend eine halbe Stunde damit, mir die Knoten aus dem Haar zu kämmen. Schließlich war ich das Warten leid und fragte Charlotte per SMS , ob ich ihren Computer benutzen dürfe.
»Klar«, schrieb sie zurück. »Kein Passwort.«
Ich bewegte die Maus, bis der Bildschirm hell wurde, und checkte meinen Gmail-Account. Die Mails von Darren und den unvermeidlichen Spam ignorierte ich. Dann loggte ich mich in Facebook ein. Eine Nachricht im Posteingang. Nur zögerlich fuhr ich mit der Maus darauf, weil ich mit einem neuerlichen Schrieb von Darren rechnete. Doch die Nachricht kam von einem Profil, das ich nicht kannte, und war ohne Bild.
Ein bisschen neugierig klickte ich sie an.
Eine höfliche Begrüßung.
Und dann:
… würde ich Ihnen gern eine neue Geige zum Geschenk machen.
Stellen Sie sich der Herausforderung und akzeptieren Sie meine Bedingungen?
Ich klickte auf das Profil, doch dort stand fast nichts, nur »London« in den Angaben zur Person. Und der Name war mit »D.« abgekürzt.
Natürlich dachte ich sofort an Darren. Aber das war ganz und gar nicht sein Stil.
Wofür konnte D. noch stehen? Für Derek? Donald? Diabolo?
Ich blätterte in Gedanken mein Adressverzeichnis durch. Wer konnte wissen, dass ich eine Geige brauchte und möglicherweise bereit war, etwas dafür zu tun? Mir fiel niemand ein. Der Einzige, der alle grausigen Details kannte, war der U-Bahn-Angestellte mit den Wurstfingern, und der hatte so romantisch gewirkt, wie es sein Beruf vermuten ließ – nämlich gar nicht. Wäre mir die Geige gestohlen worden, oder schlimmer noch, hätte man sie mir mit gebrochenem Hals auf die Fußmatte gelegt, hätte ich befürchten müssen, einen Internet-Stalker zu haben. Aber die Nachricht klang nicht bedrohlich.
Ein Funke war entzündet, und sosehr ich mich auch bemühte, er ließ sich nicht mehr löschen.
Ich hatte noch etwa zehn Minuten auf den Bildschirm gestarrt, ohne schlauer zu werden, als Charlotte mit vielen Tüten im Arm durch die Tür stürmte.
»Ich hoffe, du bist keine Vegetarierin«, rief sie. »Ich habe nur Fleisch eingekauft.«
Ich versicherte ihr, dass ich ein Faible für Steaks hätte, und winkte sie zu mir, damit sie die Nachricht las.
Sie schaute auf den Bildschirm, hob eine Augenbraue und lächelte süffisant.
»Welche Herausforderung? Und welche Bedingungen?«, fragte sie.
»Keine Ahnung. Soll ich antworten?«
»Na ja, anders findest du es nie heraus. Mach schon, schreib ihm.«
»Woher willst du wissen, dass es ein Mann ist?«
»Natürlich ist das ein Mann! Das riecht doch nur so nach Alphatier. Wahrscheinlich jemand, der dich irgendwo spielen gesehen hat und scharf auf dich ist.«
Ich überlegte und klickte dann auf »Antworten«. Bedächtig legte ich die Finger auf die Tastatur und schrieb:
Guten Abend,
danke für die freundlichen Worte. Was ist die Herausforderung und wie lauten die Bedingungen?
Gruß
Summer Zahova
Binnen Minuten war die Antwort da.
Ich würde mich freuen, Ihre Fragen ausführlich beantworten zu dürfen. Treffen wir uns.
Auffällig war, dass das Fragezeichen hinter seinem Wunsch fehlte.
Auch wenn mir nicht ganz wohl dabei war und vor allem, weil Charlotte mich dazu anstachelte, verabredete ich mich mit dem Fremden um zwölf Uhr mittags am folgenden Tag.
Ich kam zehn Minuten zu spät.
Er hatte vorgeschlagen, dass wir uns in einem italienischen Café in den St. Katharine Docks treffen. Ich tat so, als würde ich das Lokal kennen; das ersparte mir, selbst einen Vorschlag zu machen.
Als ich ankam, stellte ich fest, dass sich das Café mitten im Hafenbecken befand. Ich ging am Ufer entlang, doch dann war der Weg durch eine Baustelle versperrt, sodass ich kehrtmachen und den ganzen Weg wieder zurück und
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