80 Days - Die Farbe der Lust
angezogen, andererseits aber hatte er auch etwas Düsteres an sich, etwas Dunkles, das sie zwar faszinierend fand, aber auch ängstigte. Jeder Schritt dieser eigenartigen Beziehung führte ein Stückchen weiter zu einem Ziel, das Summer nach wie vor rätselhaft war.
»Warst du schon mal in Rom?«, fragte er träge.
»Nein«, erwiderte Summer. »Es gibt so viele Städte in Europa, die ich noch nicht gesehen habe. Als ich aus Neuseeland gekommen bin, wollte ich mir unbedingt ganz Europa anschauen. Aber dann hatte ich nie Geld, und so ist nichts daraus geworden. Ich war nur mal in Paris mit einer kleinen Rockband, für die ich gelegentlich Geige spiele.«
»Hat es dir gefallen?«
»Es war toll. Ausgezeichnetes Essen, hervorragende Museen, aufregende Atmosphäre. Aber ich hatte davor mit diesen Musikern kaum gespielt – bin erst in letzter Minute eingesprungen –, und deshalb haben wir die meiste Zeit geprobt. Ich konnte mir also nicht alles ansehen, was mich interessiert hätte. Aber ich habe mir geschworen, noch mal hinzufahren und dort mehr zu unternehmen. Irgendwann. Paris, wie es sich gehört.«
»Angeblich soll es in Paris eine lebendige Clubszene geben.«
»Fetischclubs?«, wollte Summer wissen.
»Nicht ganz«, antwortete Dominik. »Dort heißen sie › clubs échangistes ‹, das französische Wort für Swingerclubs. Dort ist alles erlaubt.«
»Bist du schon mal in einem Swingerclub gewesen?«
»Nein. Mir fehlte es an der entsprechenden Partnerin.« Sollte das etwa eine Einladung sein? Wenn Summer das nur wüsste.
»Einer ist ganz besonders bekannt. Er heißt ›Les Chandelles‹, übersetzt ›Die Kerzen‹. Äußerst elegant, nicht so ein schmuddeliger Schuppen«, erklärte er mit einem leisen Lächeln.
Dann ließ er das Thema fallen.
Es war zum Aus-der-Haut-Fahren. Gerade jetzt, wo sie so viele Fragen hatte. Spielte er mit dem Gedanken, sie dorthin zu bringen und auftreten zu lassen? Nur mit der Geige? Oder auch, um sie sexuell zu Schau zu stellen? Vielleicht, um sie öffentlich zu besteigen? Oder sogar von anderen besteigen zu lassen? In Summers Vorstellung überschlugen sich die Bilder.
»Hast du schon irgendwelche Pläne für die Zeit, wenn ich weg bin? Neue Abenteuer in der Fetischwelt vielleicht?«, fragte Dominik.
»Bis jetzt noch nicht.« Dabei konnte sich Summer eigentlich kaum vorstellen, dass sie brav zu Hause blieb. Irgendetwas musste einfach passieren. Jede Faser ihres Körpers brannte vor Begierde, und sie wusste, dass sie von ihrer Erregung und ihrer Neugier von Tag zu Tag stärker auf einen gefährlichen Pfad geführt wurde.
Dominik spürte offenbar, was in ihr vorging.
Seine Züge wurden plötzlich noch ernster. »Du weißt, dass du mir nichts schuldest«, erklärte er dann. »Solange ich fort bin, bist du frei. Du kannst tun und lassen, was du willst. Um eines möchte ich dich allerdings bitten.«
»Und das wäre?«
»Dass du mich auf dem Laufenden hältst und mir über alles berichtest, das über Arbeiten, Schlafen und Auftritte mit deiner Band, also über den normalen Alltag hinausgeht. Schreib mir, erzähl mir die Einzelheiten. Per E-Mail, SMS oder ganz altmodisch per Brief, wenn es deine Zeit zulässt. Willst du das für mich tun?«
Summer erklärte sich bereit.
»Soll ich dich nach Hause fahren?«
Sie lehnte ab. Von seinem Haus waren es nur wenige Schritte zur nächsten U-Bahn-Station, und sie brauchte Abstand, um nachzudenken. Zeit für sich selbst, die nicht Dominik gehörte.
Dominik hatte es abgelehnt, als sich die Universität von Rom, La Sapienza, erbot, ihm ein Zimmer in der Nähe des Campus zu besorgen. Er wollte lieber unabhängig sein und hatte sich in einer Seitenstraße des Viale Manzoni in einem Vier-Sterne-Hotel ein Zimmer reserviert. Mit dem Taxi würde es von der Stazione Termini, wo der Flughafenzug endet, in zehn Minuten zu erreichen sein.
Er wollte sich dem Kongress widmen und einen Vortrag in Vergleichender Literaturwissenschaft halten. Sein Titel: »Aspekte der Verzweiflung in der Literatur der 1930er bis 1950er Jahre«, er behandelte hauptsächlich den italienischen Schriftsteller Cesare Pavese, einen von vielen Autoren, die sich das Leben genommen hatten – und das selten aus guten Gründen. Sicher, es war nicht gerade ein fröhliches Thema. Aber Dominik war im Lauf der Jahre zu einer Autorität auf diesem Gebiet geworden. Er wollte mit Kollegen aus aller Welt zusammensitzen, aber auch sich die Zeit nehmen, allein zu bleiben, um über die
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