80 Days - Die Farbe der Lust
auf die Kaution gepfiffen. Nicht einmal von Charlotte hatte sie sich verabschiedet, nur von Chris, dem sie kurz alles, so gut sie es konnte, erklärt hatte. Es lag ihr sehr daran, seinen Segen zu haben.
Sie hatte darauf verzichtet, Dominik anzurufen, auch wenn die Versuchung groß gewesen war, das letzte Wort zu haben.
Die Agentur hatte sie fürs Erste in einer Wohngemeinschaft mit anderen ausländischen Mitgliedern des Orchesters in der Nähe der Bowery untergebracht. Man hatte sie ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sämtlich Blechbläser seien, so als würde das etwas Bestimmtes über ihren Charakter aussagen. Diese Bemerkung, die fast wie eine Warnung klang, hatte sie amüsiert.
Summer war noch nie in New York gewesen. Als das gelbe Taxi sich dem Midtown Tunnel näherte, erspähte sie zum ersten Mal die Skyline von Manhattan, die tatsächlich so imposant war, wie sie es aus Filmen kannte. Es verschlug ihr buchstäblich den Atem.
Genau der richtige Ort, um einen Neuanfang zu machen, dachte Summer. Auf der langsamen Fahrt vom Flughafen durch die Staus von Queens und Jamaica hatte sie viel Vorstadttristesse gesehen, aber nun fiel ihr Blick durch die schmutzigen Scheiben des Taxis auf die gigantischen Hochhäuser, darunter die bekannten Wahrzeichen, und Freude und Hoffnung erfüllten sie.
In ihrer ersten Woche in der Stadt hatte sie kaum eine Minute für sich. Sie hetzte von Probe zu Probe, erledigte den unvermeidlichen Papierkram für ihre Unterkunft, versuchte ein wenig hinter die Geheimnisse der Lower East Side zu kommen und sich überhaupt in dieser fremden und wundervollen neuen Stadt zu orientieren.
Ihre Mitbewohner blieben ziemlich für sich, was ihr nur recht war. Sie hatte auch mit denen, die sie in London zurückgelassen hatte, kaum etwas zu tun gehabt.
Bald schon nahte der erste öffentliche Auftritt mit dem Gramercy Symphonia Orchestra, das sein Herbstprogramm in einer kleinen Konzerthalle startete, die erst kürzlich im altem Glanz wiederhergestellt worden war. Sie spielten zum Auftakt eine Sinfonie von Mahler, mit der sich Summer nicht so recht anfreunden konnte. Glücklicherweise war sie nur eine von über einem halben Dutzend Geigerinnen und technisch versiert genug, um in der großen Streichergruppe unauffällig ihren Mangel an Einfühlungsvermögen zu überspielen.
Vierzehn Tagen später sollten sie mit einem eher traditionellen klassischen Repertoire auftreten: Beethoven, ein bisschen Brahms und eine Reihe von Werken russischer Romantiker. Darauf freute sich Summer, im Gegensatz zum Abschlusskonzert der Saison, bei dem auch Penderecki auf dem Programm stand, ein Albtraum für Streicher und ganz und gar nicht ihr Lieblingskomponist: schrill, unpersönlich und ihrem Gefühl nach auch unerträglich prätentiös. Doch bis dahin war noch Zeit, und die Proben dazu sollten erst im Spätherbst stattfinden. Davor würde sie jedenfalls ihren Spaß haben.
Das Wetter in New York war ungewöhnlich mild, obwohl Summer wiederholt das Pech hatte, in einen Schauer zu geraten, sobald sie sich mal über Greenwich Village oder SoHo hinauswagte. Wenn ihr dann das dünne, klatschnasse Baumwollkleid am Körper klebte und sie sich rasch irgendwo unterstellte oder durch den Regen nach Hause lief, musste sie an den Spätfrühling zu Hause in Neuseeland denken. Es war ein seltsames Gefühl, ganz ohne Nostalgie, so als wäre das in einem völlig anderen Leben gewesen.
Ausgehen, andere Leute treffen, Männer kennenlernen, Sex – an all das dachte sie kaum. Sie genoss die Zeit als eine Art Urlaub. Wenn sie nachts allein in ihrem spärlich möblierten Zimmer war, lauschte sie den Geräuschen der Straße, den Sirenen, die immer wieder die Stille zerrissen, dem Atem dieser für sie so neuen Stadt. Manchmal hörte sie durch die dünne Wand, dass sich ein Paar aus Kroatien liebte, beides Blechbläser und allem Anschein nach sogar tatsächlich miteinander verheiratet: erst ein kurzes Rezitativ in einer ihr unverständlichen Sprache, dann unterdrücktes Geflüster, die unvermeidlich quietschenden Bettfedern und Stöhnen. Als krönender Abschluss dann eine Art Triumphgeheul der Waldhornspielerin, die ihren Orgasmus in einer Flut von kroatischen Schimpfworten herausschrie, zumindest klang es in Summers Ohren so. Wenn sie gespannt dieser Balgerei lauschte, stellte sie sich vor, dass sein Schwanz und ihre Möse sich zwischen den Laken liebten und bekriegten. Schon oft war der Trompeter, dessen wilden Lusthammer Summer
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