80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)
vor: Hier war ich keine Tänzerin, sondern ich strippte.
Und so lebte ich in zwei verschiedenen, sorgsam voneinander getrennten Welten – nachts unter den bunten Scheinwerfern des Clubs in Burbank und tagsüber in den friedvollen Seitenstraßen von Venice Beach und in Lucians Haus. Jedes andere Mädchen hätte wahrscheinlich alles gegeben für ein Leben, wie Lucian es mir bot. Doch in mir regte sich etwas, das sich magisch von der Gefahr und dem Glamour der Halbwelt angezogen fühlte.
Lucian musste zu einer Konferenz im kanadischen Bundesstaat Ontario fahren, und ich begleitete ihn in der Limousine mit Fahrer zum Flughafen. Auf der Rückfahrt fiel mir, keine fünf Minuten nach Verlassen des Airport Boulevard, auf einer kleineren Straße Richtung Küste ein heruntergekommenes Haus auf. In der prallen Sonne blinkte matt ein Schild mit der Aufschrift » SIN CITY «. Darunter stand in Großbuchstaben: »Tänzerinnen dringend gesucht.« Das Ganze wirkte wie eine überdimensionale, weiß gepinselte Bretterbude mit Wellblechdach. Ich ließ den Fahrer anhalten, stieg aus und schickte ihn fort.
Der Betreiber war Russe und hatte einen Akzent aus dem baltischen Raum.
»Kannst du tanzen?«, fragte er. Sein Atem roch nach Wodka.
»Ja.«
»Ah, Russki …« Natürlich ließ es sich nicht verbergen, sobald ich den Mund aufmachte.
»Wir sind in Amerika. Hier spreche ich Englisch.«
Er nickte, dann bedachte er mich mit dem gewissen auffordernden Blick. Ich zog mich aus und baute mich vor ihm auf.
»Kleine Titten«, stellte er fest und kniff in eine meiner Brüste, um zu prüfen, wie fest sie war. Seine Hand war breit und schwielig. »Die Amerikaner haben es gern größer. Wenn du willst, können wir dir eine Brustvergrößerung zahlen, du stotterst es dann ab. Na?«
»Nein«, sagte ich. »Ich bleibe, wie ich bin. Groß passt nicht zu mir.« Dabei starrte ich ihn herausfordernd an.
»Hast du auch einen Namen?«
»Luba.«
Er brummte anerkennend in sich hinein. Dann trug er mir die Regeln des Hauses vor – wenn man sie so nennen konnte, denn erlaubt war praktisch alles.
Irgendeine teuflische Ader in mir wollte wissen, wie tief ich sinken konnte. Würde ich letztlich wieder zu meinen Anfängen zurückkehren und irgendwelchen Männern an der weiß getünchten Mauer hinter dem Club einen blasen?
Schon am nächsten Tag sollte es losgehen. In der letzten Schicht des Abends.
Gleich um die Ecke gab es eine Bushaltestelle, und die Linie führte geradewegs zum Strand von Venice Beach mit seinen bunten Verkaufsständen für T-Shirts, den Rollerskatern und den heruntergekommenen Bars. Ich wollte schon in eine der Straßen einbiegen, die zu den Kanälen im Landesinneren und zu Lucians Haus führten, als mir ein ausgesprochen gut gebauter, blonder Mann in Joggingkluft auffiel, der aus einem der Läden kam. Mein Herz setzte einen Schlag lang aus. Doch dann sah ich genauer hin und erkannte, dass es nicht Chey war, sondern nur ein Typ, der ihm in Größe und Körperbau ähnelte.
Als ich wieder normal atmen konnte, fiel mein Blick auf die bunten Bilder im Schaufenster des Ladens. Es war ein Tattoostudio.
War dies ein Zeichen? Ein Hinweis, dass sich mein Leben wieder einmal von Grund auf ändern würde – ob zum Guten oder auch nicht?
Ich ging hinein.
»Ich möchte ein Tattoo.«
Der Besitzer, ein Typ mit langen Rastalocken, musterte mich von oben bis unten.
Als er dann fragte, an welcher Körperstelle, zögerte ich nicht lange.
Ich wusste, ich war jemand, dessen Wesen vom Sex bestimmt war. Er würde immer Teil meines Lebens sein.
Und so schlüpfte ich aus meinem Rock und meinem Slip.
»Hier.« Ich zeigte auf die Stelle neben meiner Möse.
Er war nicht weiter überrascht, sondern reichte mir ein Blatt mit möglichen Motiven.
»Am beliebtesten sind Rose und Delfin. Die Größe kannst du selbst bestimmen, und danach richtet sich dann auch der Preis.«
Ich gab ihm den Bogen zurück. »Ich weiß schon, was ich will.«
»Und was?«, fragte er.
»Eine Pistole«, sagte ich.
Er führte mich in den hinteren Teil des Ladens zu einem durchgesessenen Lederstuhl, der mich an eine Zahnarztpraxis erinnerte. Überhaupt wirkte es hier hinten erstaunlich hell, sauber und steril, geradezu hightechmäßig. Ich hatte eher etwas Schmuddeliges erwartet.
Es tat verdammt weh. Schlimmer als alles, das ich je ertragen hatte.
So musste man sich fühlen, wenn man einen Sonnenbrand hat und ein Skalpell langsam in die Haut schneidet, ein gleißender
Weitere Kostenlose Bücher