80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)
ein ganz mieses Gefühl dabei.«
»Du musst einfach nur lernen, das Ganze gelassener zu nehmen, Luba.«
»Gelassen!«, rief ich. »Sie haben mich wohl kaum engagiert, weil ich Gelassenheit ausstrahle …«
Ich fegte einige Blumen vom Bett. Sie fielen auf den Teppichboden, wo sie in einem bizarren Muster liegen blieben. Dann strich ich langsam über die glatte Oberfläche eines Bernsteins, der auf dem Laken gelegen hatte. Es war ein beruhigendes und tröstliches Gefühl.
»Luba, Liebe, du bist so schön und begabt. Das ist nur eine vorübergehende Laune. Du darfst das Tanzen nicht aufgeben. Dein Ruf spricht sich immer mehr herum, alle reden von dir. Ich habe Jahre gebraucht, dahin zu kommen, wo du heute schon bist.«
Aber mein Entschluss stand fest.
»Ich will aufhören«, wiederholte ich.
»Das glaube ich nicht.«
»Doch, ganz bestimmt.«
»Denk noch mal darüber nach.« Madame verlegte sich jetzt aufs Bitten.
»Nein.«
»Was willst du denn sonst tun?«
»Keine Ahnung. Vielleicht normal tanzen.«
»Du weißt aber schon, dass du damit sehr viel weniger verdienst?«
»Natürlich. Aber ich habe einiges auf die hohe Kante gelegt. Vielleicht mache ich erst einmal einen längeren Urlaub. Anschließend sehe ich dann weiter.«
Ich meinte fast, ihre Gedanken rattern zu hören.
»Ja, mach eine Weile Pause. Das ist eine prima Idee, Luba. Und wenn du dich körperlich und seelisch erholt hast, reden wir noch mal über das Ganze, ja?«
Dann erklärte sie mir, dass ich nach einer Pause mit meiner einzigartigen Nummer nur noch gefragter sein werde und sich damit meine Gage erhöhe. Gemeinsam könnten wir meine Auftritte als etwas noch Exklusiveres und Kostbareres verkaufen. Zukünftig dürfe ich auch ganz allein entscheiden, wann und wo ich tanzen wolle. Madame Denoux bat mich inständig, ich solle mir diese Möglichkeit durch den Kopf gehen lassen, wenn ich erst einmal meine Auszeit beendet hätte. Ob ich das tun wolle?
Widerstrebend willigte ich ein.
Nach der vergangenen Nacht hatte ich allerdings meine Zweifel, ob ich jemals wieder auftreten würde. Zugleich aber gab es nichts anderes, das mich derartig befriedigte. Zu reisen und frei von allen Alltagsdingen zu sein, gefiel mir mittlerweile sehr. Darum musste ich unbedingt eine Möglichkeit finden, mich zu erholen, und zwar möglichst rasch. Denn sonst gab es ja nichts in meinem Leben.
Vielleicht würde ich eines Tages sogar Chey über den Weg laufen. An irgendeinem exotischen Ort auf der Welt, den ich bisher noch nicht kannte. Schließlich waren wir beide Abenteurer und Ausgestoßene.
Ich hatte seinen Brief beantwortet. Mit vorsichtigen, zögernden Worten hatte ich auf meine Weise versucht, ihm zu vergeben, dass er so war, wie er war. Ich hatte die Tür nicht zugeschlagen. Außerdem hatte ich ihm gestanden, welch unermesslichen Schmerz unsere Trennung in mir ausgelöst hatte. Doch nach einer Weile war der Brief als unzustellbar zu mir zurückgekommen. Chey wohnte nicht mehr in der Gansevoort Street und hatte keine Nachsendeadresse hinterlassen.
Meine Zukunft war nun also völlig offen. Ich konnte tun und lassen, was mir gefiel.
An diesem Nachmittag wollte ich mir Amsterdams Museen ansehen, etwas, wozu mir früher immer die Zeit gefehlt hatte. Mein Hotelzimmer am Leidseplein war noch für zwei weitere Nächte gebucht und bereits bezahlt. Morgen würde ich mich an ein Reisebüro wenden und mein Ticket nach New Orleans gegen einen anderen Flug umtauschen, vielleicht wieder in die Karibik. Aber diesmal nach Barbados oder Jamaika. Um etwas Neues zu entdecken. Um Leute kennenzulernen und Abenteuer zu erleben.
Mittlerweile hatte ich Hunger. Ich wusch mir das Gesicht, putzte mir die Zähne und zog mich an. Ein schlichtes Baumwollkleid mit dezenten Tupfen, knielang und schulterfrei. In meinem Koffer fand ich dazu eine dünne Kaschmirjacke, zog die flachen Ballerinas an und ging los.
Vor dem Hauptbahnhof gab es Buden, wo man Pommes Frites mit Mayonnaise kaufen konnte, die ich bei meiner Ankunft bereits probiert hatte. Dorthin wollte ich gehen. Dann würde ich mit dem Taxi zum Rijksmuseum fahren und mir wie eine ganz normale Touristin die Rembrandt-Sammlung ansehen. Ich fühlte mich bereits bedeutend wohler bei der Aussicht auf die freien Tage, die vor mir lagen. Vielleicht konnte ich wieder zu mir finden. Zur Ruhe kommen.
Als ich endlich an der Museumskasse stand, erfuhr ich, dass bis zur Schließung nur noch eine Stunde Zeit blieb. Ich würde durch die Säle
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