80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)
hasten müssen. Oder aber auch nicht, denn ich konnte ja am nächsten Tag wiederkommen. Ich lächelte. Welch ein Luxus!
Ich befand mich im Westflügel und war in die Betrachtung der »Nachtwache« versunken, als ich hinter mir jemanden amüsiert sagen hörte: »Weißt du, dass du in Kleidern genauso schön bist wie nackt?«
Ich fuhr herum.
Da ich sein Gesicht schon unzählige Male in Zeitungen und Illustrierten gesehen hatte, erkannte ich ihn natürlich sofort. Ein englischer Rockstar, Viggo Franck, dessen Musik ich allerdings noch nie gehört hatte. Seiner Band, den Holy Criminals, die für gewöhnlich in den größten Stadien spielte, sagte man einen exzessiven Lebensstil nach.
In natura war er kleiner als erwartet; dass er größer wirkte, lag wahrscheinlich an seiner ausgesprochen schlanken Figur. Sein langes, zerzaustes Haar türmte sich auf seinem Kopf zu einem kunstvollen Gewirr, das seit Ewigkeiten keinen Kamm mehr gesehen hatte. Die dünnen Beine steckten in den engsten Jeans, die mir je unter die Augen gekommen waren, die Hose wirkte wie aufgesprüht. Am Saum war sie ausgefranst und ließ über den schweren schwarzen Lederstiefeln noch ein, zwei Zentimeter blasse Haut frei. In High Heels hätte ich ihn um einen halben Kopf überragt.
Seine dunklen Augen funkelten spöttisch, und sein Lächeln war entwaffnend, fast schon jungenhaft, während er mich mit unverhohlenem Begehren und echtem Interesse betrachtete, als wäre ich ein ausgefallenes Exemplar in einem Zoo oder in einem Schaufenster.
Ich ließ seine Musterung in aller Ruhe über mich ergehen. Unterdessen richtete ich unwillkürlich meinen Blick auf die beträchtliche und kaum zu übersehende Ausbeulung seiner Hose, die durch den extrem engen Schnitt noch betont wurde.
Er folgte meiner Blickrichtung, und sein Lächeln wurde zu einem wissenden Grinsen.
»In der Beziehung hast du einen Vorteil«, stellte ich fest.
Sein Gesicht leuchtete auf.
»Fantastisch, dein Akzent, Babe …«
Ich sah ihn verdutzt an.
»Bist du eine echte Russin?«, fragte er.
»Eigentlich komme ich aus der Ukraine.«
»Ist ja irre!«
Da ich am vergangenen Abend zum ersten und einzigen Mal in Amsterdam als Tänzerin oder als Teil eines Sexduos aufgetreten war, konnte mich Viggo Franck eigentlich nur dort gesehen haben.
Er erriet wohl, worüber ich nachdachte. »Ich saß gestern Abend im Publikum. Hatte eine Einladung.«
»Ach ja?«
»Ich habe hier und da schon Sexshows gesehen. In Hamburg oder früher, als ich noch ein unreifes Bürschchen war, in den damaligen New Yorker Clubs in der 42nd Street, in Tijuana und auch hier. Aber dein Auftritt war bezaubernd. So voller Anmut. Das meine ich ehrlich. Man hatte mich schon darauf vorbereitet, dass du einzigartig bist, und das hat gestimmt. Es war sein Geld wert.«
»Vielen Dank«, entgegnete ich. »Dabei war das kein guter Abend, um mich kennenzulernen. Ich bin viel besser, wenn ich mit dem Herzen dabei bin.«
Aus dem Augenwinkel fing ich den starren Blick des kleinen Mädchens im goldgelben Kleid auf, das halb links im Licht von Rembrandts »Nachtwache« steht.
»Wenn das so ist«, meinte Viggo Franck, »muss ich unbedingt bei deiner nächsten Vorstellung dabei sein und dir zusehen, wenn du richtig gut bist.«
»Es wird wohl keine weiteren Vorstellungen mehr geben«, erklärte ich. »Zumindest sind keine geplant.«
Bei diesen Worten blieb ihm enttäuscht der Mund offen stehen wie einem kleinen Jungen, dem man seinen Spaß verbietet.
»Das ist aber traurig«, sagte er nur.
»Alles Gute hat einmal ein Ende.«
»Mir hat nicht nur der Sex gefallen«, erläuterte er, »sondern vor allem das Zusammenspiel der einzelnen Elemente – deine Art zu tanzen, diese Eleganz und erotische Ausstrahlung. Du hast es zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht. Und ich weiß einiges über die Inszenierung von Bühnenauftritten … Es war einfach nur schön.«
Eine Lautsprecherdurchsage teilte den Besuchern mit, dass das Museum in einer Viertelstunde schließe. Man bat sie, sich zu den Ausgängen zu begeben.
Ich wollte mich schon auf den Weg durch das Labyrinth der langen Gänge und Säle des Rijksmuseums machen und rückte gerade den Henkel der Leinentasche auf meiner nackten Schulter zurecht, als er rief: »Warte!«
»Was ist?«
»Kommst du mit einen Kaffee trinken?«
Ich hatte nichts weiter vor. Und seine Gesellschaft würde es mir ersparen, allein in meinem Hotelzimmer herumzuhängen und mich nur wieder mit meinen Gedanken zu
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