80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)
beschäftigen. Daher nahm ich an.
Draußen dämmerte es bereits. Da wir in der unmittelbaren Nähe des Museums keine Bar und kein Café fanden, gingen wir Richtung Süden. Wir unterhielten uns über Belangloses, bis wir einige Querstraßen weiter auf eine der vielen Grachten stießen, wo es eine ganze Reihe von Restaurants und Cafés gab. Als wir eines betraten, bemerkte ich, dass Viggo mit seinem wilden Aussehen die Aufmerksamkeit auf sich zog, vor allem die der Frauen jeglichen Alters.
Mir fiel ein, dass er den Ruf eines wüsten Weiberhelden hatte, obwohl er mir in diesem Augenblick eher lustig und harmlos vorkam, eher wie ein ungestümer junger Hund. Diese Wirkung hatte ich oft auf Männer, normalerweise aber nur, wenn ich auf der Bühne im Licht der Scheinwerfer stand und der Zauber des Auftritts mich umfing. Die gute alte Luba im schlichten, getüpfelten Baumwollkleid, flachen Schuhen und ungeschminkt erlebte so etwas eher selten. Dieses Mädchen, das mir jeden Tag aus dem Spiegel entgegensah. Das Mädchen, das Chey einst kannte.
»Darf ich dich um eines bitten?«, fragte ich, als wir uns einen Platz gesucht hatten und ich mir einen doppelten Espresso bestellte, während Viggo sich für ein Glas Weißwein entschied. Die junge Kellnerin konnte nicht aufhören, ihn anzustarren, als er mir gegenüber Platz nahm. Mich hatte sie kaum eines Blickes gewürdigt, so hingerissen war sie, dass dieser Rocksänger ihr Café besuchte.
»Sicher«, antwortete er.
»Bitte bombardiere mich nicht mit Fragen, wie ich zu den Erotikshows gekommen bin. Ich bin Tänzerin. Der Rest hat sich dann irgendwie ergeben. Über das Warum und Wieso möchte ich nicht sprechen. Jedenfalls nicht in diesem Augenblick.«
Er verzog enttäuscht den Mund, als hätte er genau das vorgehabt. Gleich darauf aber blitzte es in seinen Augen auf, und er wurde wieder munterer.
»Dann erzähl mir etwas über dein Tattoo. Die Pistole«, bat er.
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Mir reicht die Kurzversion«, sagte er. »Ich bin ein ungeduldiger Mensch. Bei mir muss alles schnell gehen.«
»Es war eine spontane Sache. Eine Entscheidung ohne große Überlegung.«
»Mehr nicht?«
»Es steckt ein Mann dahinter, jemand, den ich einmal gut gekannt habe. Er besaß eine Pistole. Eines Tages ist etwas passiert …«
»Hat er auf dich geschossen?«, stieß Viggo hervor.
»Nein, ich. Auf seinen Fernseher.«
»Irre.«
Als ich an diese Begebenheit zurückdachte, musste ich lächeln. Rückblickend betrachtet war es verdammt komisch. Doch damals fand ich es gar nicht lustig.
»Ich habe die ganze Zeit auf das Tattoo starren müssen, als du getanzt hast«, meinte er.
»Nur auf die Pistole?«, fragte ich schelmisch.
»Nein«, gestand er. Er leckte sich über die Lippen. »Da gab es noch weit mehr zu sehen, und ich habe einen scharfen Blick.«
Dabei sah er mir tief in die Augen. Dieser Mann, der zugeschaut hatte, wie ich von einem anderen gefickt wurde.
Ich schwieg.
»Du bist eines der Mädchen, das mich zu einem Song inspiriert«, sagte er, wieder ganz ernst.
Seit ich Cheys Brief gelesen hatte, in dem er mir gestand, wie er mich sah und was er von mir dachte, beschäftigte mich die Frage, wie andere mich wohl wahrnahmen. Da ich mich so oft zur Schau stellte, fehlte mir jedes Gefühl, ob der Eindruck des Publikums meinem diffusen Selbstbild entsprach. In gewisser Weise wollte ich die Hauptfigur in meiner eigenen Geschichte sein, der strahlende Star in meinem eigenen Leben.
»Du gibst mir Rätsel auf«, sagte Viggo. »Du wirkst so unnahbar, zugleich aber auch schrecklich real.«
»Du meinst, real, weil du mich nackt und beim Sex gesehen hast.«
»Nicht nur deshalb … Darf ich dich Luba nennen?«
»Klar.«
Seine Bemerkung über Frauen, die ihn zum Songschreiben inspirierten, erinnerte mich an etwas anderes.
Vor einigen Wochen hatte ich ein Buch gekauft, um es auf dem Nachtflug nach Europa zu meinen Engagements – denen in Cannes und diesem in Amsterdam – zu lesen. Es stammte von einem britischen Schriftsteller und erzählte die turbulenten Abenteuer einer jungen Amerikanerin im Paris der 1950er Jahre, die in der Szene des Quartier Latin mit Jazzmusikern und verschiedenen Landsmännern im freiwilligen Exil viele Liebesaffären erlebt. Irgendwie hatte der Roman eine seltsame Wirkung auf mich gehabt, ich hatte mich von Anfang an stark mit der Figur identifiziert und war überzeugt, dass sie eine reale Frau zum Vorbild hatte, weil sie so greifbar und
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