80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)
Kontrast, der mich klarer sehen ließ.
Das erste Licht des Morgens schimmerte bereits durchs Fenster. Ein zögerndes Grau legte seine Decke über die Dächer von Amsterdam. Von meiner Suite im obersten Stockwerk hatte ich eine einmalige Aussicht.
Eingehüllt in die dicken weißen Handtücher, legte ich mich aufs Bett. Doch der Schlaf wollte nicht kommen.
Etwa eine Stunde später drangen die ersten Geräusche von der Straße zu mir herauf. Ich schlüpfte in ein Sweatshirt, alte Jeans und Turnschuhe und fuhr mit dem Lift in die Lobby. Der Empfang war nicht besetzt, aber in dem Büro dahinter hörte ich jemanden staubsaugen. Ich trat hinaus in die frische, herbstlich riechende Luft.
Zehn Minuten zu Fuß entfernt wurden gerade die ersten Kähne am schwimmenden Blumenmarkt aufgesperrt. Verkäufer packten ihre Waren aus, stellten die Blumen in Eimer und arrangierten Zwiebeln, Pflanzen, Saatgut, Zubehör und Andenken in den Auslagen, sodass sich im grauen Morgen eine wahre Farbenpracht entfaltete. Eine punkige junge Frau mit einem Tränentattoo unter dem linken Auge stellte Körbe mit einem Anfängerset für den Cannabis-Anbau vor die Bude. Ihr schwarz gefärbtes Haar war zu einem asymmetrischen Bob geschnitten, und mir fiel auf, dass sie die gleichen Turnschuhe trug wie ich.
Als ich so am Ufer entlangschlenderte, konnte ich die fröhlichen Farben der an allen Ständen angebotenen Tulpen kaum ertragen. In St. Petersburg und erst recht in Donezk hatten wir diese Blumen nur selten zu Gesicht bekommen. Ich mochte ihre klare Form und die heitere Gleichmäßigkeit ihrer Blüten. Sie erschienen mir irgendwie friedvoll. Obwohl der Markt offiziell noch nicht geöffnet war, konnte ich eine der Standfrauen überreden, mir einen dicken bunten Tulpenstrauß zu verkaufen, außerdem gönnte ich mir noch ein riesiges Bouquet aus Rosen, Lilien, Sonnenblumen und Gardenien. Mit dieser Pracht unterm Arm begab ich mich zurück zum Hotel. In der Lobby ging es inzwischen lebhafter zu, und die Touristen, die im Gänsemarsch vom Lift in den Frühstücksraum trotteten, sahen mich neugierig an.
Wieder in meinem Zimmer, zog ich mich aus. Dann legte ich die Blumen längs der Bettkanten auf die knisternd frischen Laken. Umkränzt von dieser blühenden Natur streckte ich mich aus, sodass meine blassen, nackten Glieder in einem leuchtenden Farbenmeer zu liegen kamen.
Es fühlte sich verrückt an. Es war verrückt.
Ich holte tief Luft, zog die rechte Nachttischschublade auf, nahm den grünen Samtbeutel mit den dreizehn Bernsteinen heraus und verteilte sie auf meiner Haut. Die meisten blieben wackelig irgendwo liegen, andere rutschten gleich in das blumige Friedhofsarrangement, das mich umgab. Der größte Bernstein – wässrig klar und ohne jede Wolke –, den die Natur wie ein Herzen geformt hatte, lag auf meinem Bauch, etwa in der Mitte zwischen Busen und Nabel, und drohte bei der kleinsten Bewegung herunterzukullern. Ich nahm ihn in die Hand, steckte in mir in den Mund und umzüngelte ihn. So angefeuchtet, nahm ich ihn wieder heraus und schob ihn mir vorsichtig in die Möse. Als der Stein mit seiner unnachgiebigen Härte in mich drang, schnappte ich kurz nach Luft.
Dann griff ich nach einem der kleineren Steine, nahm auch ihn in den Mund und beförderte ihn in meine Backe.
So löschte ich den Inkapriester, das Tanzen und den bedeutungslosen, als Kunst verbrämten Sex aus.
Die Leere war besiegt.
Bernstein füllte mich aus.
Bernstein und Chey.
Endlich fand ich Schlaf.
Erst am Nachmittag wurde ich wach. Vom Leidseplein drangen die munteren Geräusche des Alltags zu meinem Fenster herauf, und als ich durch die Vorhänge lugte, stellte ich fest, dass die Sonne schien.
Während ich allmählich zu mir kam, hörte ich mein Handy klingeln. Das war es wohl auch, was mich aus meinem Tiefschlaf geweckt hatte.
Hastig kramte ich es hervor und spuckte den Bernstein, den ich die ganze Zeit im Mund gehabt hatte, auf das blumenübersäte Bett. Als mir mit einem Mal wohlige Lust durch den ganzen Körper flutete, spürte ich, dass der andere Stein noch immer in meiner Möse steckte.
»Hallo?«
»Luba, du hast mir eine Nachricht hinterlassen. Was ist los?«
Madame Denoux. In New Orleans war es jetzt Vormittag.
Ich sammelte meine Gedanken, und meine Wut kehrte zurück.
»Ich höre auf«, erklärte ich.
»Wie bitte?«
»Ich meine es ernst, Madame. Ich habe mich entschlossen, das Tanzen aufzugeben. Früher hat es mir Spaß gemacht, aber jetzt habe ich
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